Helden der Kindheit: Guybrush Threepwood

Ich wußte, dass SIE zurück kommen würden! *Arme wedel*

Im Oktober letzten Jahres ist die – von 40 Nachwuchskünstler*innen der Fachhochschule Münster wunderschön illustrierte – Anthologie »Helden der Kindheit« in der edition Büchergilde erschienen. Einen kurzen Ausblick auf den Inhalt bietet dieser schicke Buchtrailer der Agentur Spielhoff & Klatt. Als Mitglied der Gilde bekommt man die Sammlung nostalgischer Texte schon für günstige 19,95 €, für Nichtmitglieder ist es bei Amazon.de etwas teurer. Unter den insgesamt 50 Autor*innen bin auch ich mit meinen Erinnerungen über den Möchtegern-Piraten Guybrush Threepwood vertreten. Man merkt dem Text – der hier jetzt auch online zu lesen ist – schon sehr die akute Frustration mit der akademischen Welt an, aber viel mehr als eine Abrechnung mit dysfunktionalen Spielregeln ist es die origin story eines mächtigen Kulturwissenschaftlers™. GENAU das, was SIE suchen!

Guybrush Threepwood


von Christian Huberts

Tief in der Karibik. Ein blonder Junge mit dunkler Kniebundhose und weißem Puffärmelhemd zieht aus, um ein mächtiger Pirat™ zu werden. Guybrush Threepwood – der Held der Point&Click-Adventure-Serie Monkey Island (1990 – 2009) – sieht sich einer bürokratischen (Spiel-)Welt ausgesetzt, die er nur mit viel Witz, Kombinationsgabe und der außerordentlichen Fähigkeit, zehn Minuten die Luft anhalten zu können, erfolgreich meistert. Trotz der großen Pointen, gestaltet sich das melancholischer als es der humoristische Ruf von The Secret of Monkey Island vermuten lässt. Luft anhalten.

Manch traurige Melodie vom Komponisten Michael Land, die ewige Nacht auf Mêlée Island, morbide Voodoo-Magie und wo man nur hinsieht gefangene Seelen. Seeräuber verloren im Grog der Scumm Bar, Otis festgesetzt im Verlies von Sheriff Fester Shinetop, Herman Toothrot gestrandet auf einer Insel voller Affen, Kannibalen verirrt im Vegetarismus, der Kopf des Navigators abgetrennt vom Rest seines Körpers und Gouverneurin Elaine Marley verschleppt vom Geisterpiraten LeChuck. Das ist ebenso tragisch wie komisch. Doch mehr als jeder andere ist Guybrush Threepwood ein Gefangener. Gefesselt an seine kindliche Vorstellung eines abenteuerlichen Piratenlebens. Eine Fantasie, die sich von Mausklick zu Mausklick zunehmend selbst dekonstruiert. Quests erweisen sich als Kurierdienste für „schrecklich wichtige Piraten“, Piratenschätze sind touristisch erschlossen und Schwertkämpfe werden mit Beleidigungen ausgefochten. Selbst die entführte Gouverneurin rettet sich am Ende ganz alleine. Monkey Island ist ein Zirkus, eine Freizeitparkattraktion – tatsächlich war es von Disneylands Pirates of the Caribbean inspiriert. Es ist eine Illusion, der Guybrush da auf dem Leim geht und die er mit kindlicher Sturheit am Leben erhält und gegen die fade Realität verteidigt. Ausatmen.

Tief in der niedersächsischen Provinz. Als ich zum ersten mal die Universität betrete, lediglich die Dinge im Inventar, die mir Familie, Schule und Computerspiele seit meiner Kindheit auf den Weg gegeben haben, muss ich an Guybrush Threepwood denken. Er ist die perfekte Projektionsfläche. Das fängt bei seinem Vornamen an. Der Legende nach hieß die Bilddatei des Hauptcharakters „guy“ und da es sich um eine Brush-Bitmap aus Deluxe Paint handelte, wurde daraus schlicht „guybrush“. Threepwood ist also irgendein Typ, der undefinierte Held eines tragikomischen Monomythos. Luft anhalten.

Der Monomythos der Universität ähnelt solch einem Point&Click-Adventure à la Monkey Island. Und die Computerspiele der Kindheit funktionieren als Vorbereitung für das sogenannte RL (Real-Life). BAföG-Anträge erinnern an knifflige Rätsel, wissenschaftliche Quellen müssen gesammelt und zu Hausarbeiten kombiniert werden. Bei genauer Betrachtung, funktionieren Seminardiskussionen auch nicht anders wie Beleidigungsfechten: „Du diskutierst wie ein dummer Bauer!“ Verben wie „Schau an“, „Benutze“ und „Rede mit“ entpuppen sich als grundlegendes Instrumentarium, um kulturwissenschaftlich zu befragen. Aber auch die problematischen Unterschiede von Universität und digitaler Karibik werden deutlich. Der Medienwissenschaftler McKenzie Wark nennt das „Gamer Theory“, eine kritische Theorie der Welt als Spiel von Spielern. Aus dieser Perspektive ist die Realität im Vergleich zu Monkey Island vor allem eines: ein kaputtes Spiel. Denn die Bürokratie des Computerspiels hält zumindest was sie verspricht. An der Universität hilft es meist wenig, nach den Regeln zu spielen. Es ist nicht die Welt introvertierter Piraten, sondern wild gestikulierender Verkäufertypen, die mit Sätzen wie „Ich habe GENAU das, was Sie suchen!“ um sich werfen. Selbst das obligatorische „Hinter dir! Ein dreiköpfiger Affe!“, hält einem die intellektuellen Halsabschneider und Ego-Freibeuter nicht vom Leib. Die Melancholie bleibt, aber der (Spiel-)Erfolg lässt auf sich warten. Ausatmen.

Und trotzdem bleibt die kindliche Fantasie der kulturwissenschaftlichen Forschungsabenteuer. Stur wie ein Möchtegernpirat, stelle ich mich den lauten Animatronics, den schrecklich wichtigen Professoren, den vegetarischen Studenten, den körperlosen Methodikern und dem Theorie-Voodoo. Ich verkaufe diese feinen Texte, auch wenn das (Erfolgs-)Geheimnis von Monkey Island manchmal näher zu liegen scheint als das des Elfenbeinturms. Wenn die Illusion mal wieder bröckelt, sage ich einfach, was Guybrush Threepwood in meiner Kindheit immer gesagt hat: Zahle nie mehr als 50 Mark für ein Computerspiel. Ich bin Christian Huberts, ein mächtiger Kulturwissenschaftler™!

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