Spiel|Handlung: Christian Huberts – (Nicht-)Handlungen im Computerspiel (Video)

Während sich die zeit-, entscheidungs- und konfigurationskritischen Aktionsangebote von Computerspielen aktuell in Genre-Hybridisierungen und Mechanik-Rekombinationen erschöpfen, bemüht sich eine wachsende Anzahl von Entwicklern – häufig aus der Independent-Gaming-Szene – um die Forcierung alternativer ludisch-ästhetischer Handlungsmöglichkeiten.

Wie schon im Blog angekündigt, fand vom 18. bis zum 20. April 2013 die Tagung »Spiel|Handlung« in Köln statt – zum 10-jährigen Jubiläum der AG Games der Gesellschaft für Medienwissenschaft. Kollege Felix Schröter hat einen kurzen Bericht zur Tagung geschrieben. Auch ich war mit dem Vortrag »(Nicht-)Handlungen im Computerspiel: Atmosphäre, ambiente Akte und Passivität« dabei. Es ging unter anderem um Proteus, die Ästhetik der Atmosphären im Computerspiel, Gelassenheit und ostasiatische Konzepte wie 爲無爲 (wéi wúwéi, chinesisch, in etwa „Handeln durch Nicht-Handeln“). Dank Serjoscha Wiemer – der sein mobiles Aufnahmegerät dabei hatte – gibt es den Vortrag nun auch online als Video (mit 75% weniger Schweigen, „Ähm“ und „Genau“):

Abstract

Während sich die zeit-, entscheidungs- und konfigurationskritischen Aktionsangebote von Computerspielen aktuell in Genre-Hybridisierungen und Mechanik-Rekombinationen erschöpfen, bemüht sich eine wachsende Anzahl von Entwicklern – häufig aus der Independent-Gaming-Szene – um die Forcierung alternativer ludisch-ästhetischer Handlungsmöglichkeiten. So laden AAA-Titel wie SKYRIM (Bethesda Game Studios, 2011) – mit ihren ausladenden und detailliert gestalteten Spielwelten – nicht nur zum Erforschen ein, sondern ebenso zum Verweilen, zum passiven Erleben eines gestimmten Raumes. Ein Indie-Spiel wie DEAR ESTHER (thechineseroom, 2012) konzentriert sich fast exklusiv auf die Evozierung einer solchen atmosphärischen Spielerfahrung. DINNER DATE (Stout Games, 2010) zwingt die Spieler sogar gänzlich in die untätige Rolle eines Wartenden. In Alexander R. Galloways Schematisierung der vier Momente spielerischer Aktion lassen sich diese beispielhaften (Nicht-)Handlungen als »diegetic machine act« [1] bzw. »ambience act« [2] einordnen, die bislang kaum in den Game Studies untersucht wurden. Das Computerspiel spielt sich hier selbst und die Spieler müssen es folglich nur noch sein lassen.

In der bewussten Unterlassung von Handlung liegt auch die – für Spiele so konstitutive – zielgerichtete Herausforderung dieser Art von Computerspielen. Nicht mehr die spezifische Konfiguration von Variablen ist alleinige Voraussetzung für spielerischen Erfolg, sondern ein Erlauben von Atmosphäre – »die gemeinsame Wirklichkeit des Wahrnehmenden und des Wahrgenommenen« [3] – stellt ebenso Ziel wie Zielbedingung des Computerspiels dar. Der geplante Vortrag möchte einen analytischen Querschnitt über Computerspiele, die Nicht-Handlung als Handlung ermöglichen, bieten und in bestehende Diskurse einordnen – beispielsweise mit Hilfe des »Präsenz«-Begriffs von Hans-Ulrich Gumbrecht [4]. Grundlage bietet außerdem ein in Arbeit befindlicher Sammelband zu Atmosphären im Computerspiel.

[1] Galloway, Alexander R. (2006) Gaming. Essays on Algorithmic Culture. Minneapolis; London:
University of Minnesota Press, S. 12.

[2] Ebd., S. 10.

[3] Böhme, Gernot (1995) Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 34.

[4] Vgl. Gumbrecht, Hans Ulrich (2004) Diesseits der Hermeneutik. Die Produktion von Präsenz. Frankfurt a. M.: Suhrkamp.

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