2014 so far: Zukünftige Spielkultur, Spielkultur im SPIEGEL, Kulturzeit, Bezahlen für Zeit & Zukunft der Virtual Reality

Schon wieder ist über ein Monat vorbei im nicht mehr ganz so frischen Jahr 2014 und schon ist viel passiert! Ein Rückblick.

Verpixelte Kängurus auf dem Holodeck

Das Jahr beginnt sofort mit einem feinen Radiobeitrag von WASD-Chefredakteur Christian Schiffer bei Breitband, der Sendung für Medien und digitale Kultur im Deutschlandradio:

In dreißig Jahren Computerspielekultur hat sich einiges getan, und so wird es glücklicherweise wohl auch in Zukunft bleiben. Christian Schiffer hat sich dazu bei Gaming-Experten umgehört.

Einer dieser „Gaming-Experten“ bin ich und erzähle unter anderem etwas über neue narrative Ansätze von Computerspielen. Den Beitrag kann man entweder herunterladen oder direkt hier anhören:

Spielen macht klug

Für großen Wirbel im Frühjahr sorgte DER SPIEGEL (Heft 3/2014) mit seiner Titelgeschichte »Spielen macht klug«: Besonders der Untertitel »Warum Computerspiele besser sind als ihr Ruf« führte schon im Vorfeld des Erscheinens zu Unmut, der durch die Online-Previews des zugehörigen Artikels nur weiter bestärkt wurde. Der schlechte Ruf von Computerspielen – der in der Vergangenheit in erster Linie von kulturpessimistischen Journalisten geprägt wurde – sollte nun also von den selben Journalisten wieder aus der Welt geschaffen werden. JETZT! ENDLICH! Das war dann doch zu viel Selbstgerechtigkeit, um nicht auf Facebook mit einem Rant meinerseits bedacht zu werden. Kollege Stefan Mesch hat meine Ausführungen freundlicherweise auf seinem Blog festgehalten:

Was der Spiegel-Titel (und die Vorschau die ich gelesen habe) nahelegen ist nicht, dass die Redakteure da keine Ahnung haben und ich viel schlauer bin, viel mehr coole Spiele kenne. Nein, der aktuelle Spiegel legt nahe, dass die Redakteure seit 10 – 20 Jahren keine Ahnung von Computerspielen haben WOLLEN bzw. es gar nicht für notwendig halten (es gibt ja Studien!), lieber aus Distanz kritische Positionen simulieren.

Nach Erscheinen des SPIEGEL und einer genauen Lektüre der Titelgeschichte, änderte sich meine Meinung nur unwesentlich. Rainer Sigl hat mir Angeboten, meine Gedanken auf Video Game Tourism zu veröffentlichen und genau das habe ich getan: »SPIEGEL macht blöd. Warum auch positive Computerspiel-Artikel nicht besser sind als ihr Ruf.«

Es offenbart sich ein Kulturverständnis, wie es schräger und fragwürdiger nicht sein könnte. Man respektiert eine Kultur nun mal nicht, indem man ausschließlich darüber nachdenkt, was sie wirtschaftlich, pädagogisch, medizinisch etc. für uns leisten kann. Nicht die Computerspielkultur selbst steht im Fokus, sondern ihre Schnittpunkte mit der bildungsbürgerlichen Komfortzone. Game-Berichterstattung im Print-Journalismus, das ist ewige Annäherung an das Zumutbare, ohne je mit diesem obszönen Gegenstand in Berührung zu kommen, der angeblich unsere Zeit vernichtet und nicht mit offensichtlichem Nutzwert entschädigt.

Und mit dieser Ansicht befinde ich mich in bester Gesellschaft: Weitere sehr lesenswerte Kritik stammt von Benedikt Plass-Fleßenkämper, Anjin Anhut und Robert Glashüttner. Aber es regte sich auch Kritik an der Kritik, allen voran Marcus Dittmar auf Superlevel:

Das wirklich Traurige an den ganzen negativen Reaktionen ist aber, dass sie nicht helfen. Sie machen einen vermeintlich schlechten Artikel nicht besser und spiegeln eine exklusive Deutungshoheit wider, die in der Form einfach nicht existent ist. Denn bloß weil man Videospiele für Kunst hält, muss man sich als Kenner nicht in elitäres Hinabgerede flüchten oder sich als Sprachrohr des „richtigen“ Spielejournalismus aufspielen.

In den Kommentaren habe ich (und andere Teilnehmer der Debatte) Stellung zur grundsätzlich erstmal berechtigten Kritik bezogen. Der Löwenanteil des Feedbacks war jedoch sehr positiv und ich konnte mich unter anderem im Ruhm einer Erwähnung im BILDblog sonnen. Weitere Einordnungen und Zusammenfassungen der Debatte um den SPIEGEL-Titel liefern unter anderem Marcus Richter im angespielt-Podcast und Niels Boehnke bei der Stiftung Digitale Spielkultur. Oder eben die Leserbriefe, die im SPIEGEL (Heft 4/2014) abgedruckt wurde und hier und hier genauer unter die Lupe genommen werden. Lesen auf eigene Gefahr! Abschließend sein noch gesagt, dass es grundsätzlich natürlich eine positive Entwicklung ist, dass sich die Rolle von Computerspielen im Journalismus normalisiert. Der Prozess ist quälend langsam, aber er läuft. Schön auch, dass sich der SPIEGEL selbst an einem – leider nicht sehr gelungenen – Browsergame versucht hat, das die Inhalte der Titelstory noch einmal ludisch aufbereitet. Viel Luft nach oben, aber die Geste zählt! Interessant ist auch, dass mein Beitrag zu der Debatte ebenfalls in anderen Bereichen der populären Kultur auf Resonanz stößt. Marc-Oliver Frisch beobachtet ähnliche bildungsbürgerliche Strukturen der Marginalisierung auch in der Comickultur, in der Qualität ebenso mit Nähe zu etablierten Medien und Nützlichkeit gleichgesetzt wird. So isoliert und allein in der »Loge der Gaming-Hochkultur« angesiedelt ist der Diskurs eben doch nicht:

Meist ist es nicht die Qualität eines Comics, der ihn für die Medien interessant macht, sondern seine tagespolitische Relevanz oder sein Potenzial als Kuriosum. Das gängige Narrativ der Comics im Mainstream-Journalismus stützt sich noch immer auf die uralten Vorurteile, die nun—wie Huberts es auch bei Computerspielen diagnostiziert—als Einstieg ins Thema recycelt werden: Peng! Bumm! Zack! Schau her, Leser, Comics sind gar nicht mehr bunt, dumm und lustig—sensationell, was? Immer und immer wieder.

Kulturzeit

Wo wir schon bei der mit mir assoziierten »Loge der Gaming-Hochkultur« waren: Wenn man diesen Ruf weg hat, kann man ja auch gleich mal auf 3sat bei Kulturzeit auftreten. Gedacht, getan! Leider wurde der Beitrag – in dem ich kurz über Proteus philosophiere – schon wieder aus der Mediathek depubliziert.

Free To Wait

Breitband, again! Dieser Radiobeitrag steht in 17:34:49 Stunden [oder sofort für 89ct!] zum Download bereit. Nur Spaß, aber in vielen Free2Play-Games mittlerweile bitterer Ernst. Marcus Richter hat sich das Geschäftsmodell genauer angeschaut und unter anderem mich zu möglichen Folgen für die Spielkultur befragt:

Oculus Rift

Das Virtual-Reality-Headset Oculus Rift erscheint voraussichtlich Ende diesen Jahres auf dem Markt. Michael Schulze von Glaßer macht sich im Freitag schon im Vorfeld Gedanken über die mögliche Veränderung unserer Gewaltwahrnehmung in Computerspielen. Mich hat er um eine Einschätzung gebeten, die in Auszügen in dem Artikel nachzulesen ist. Hier die vollständige Version:

Meine generelle Einschätzung zur »Oculus Rift« ist, dass es sich um den bislang erfolgreichsten und ausgereiftesten Versuch einer Etablierung von VR-Brillen handeln wird. Was ich nicht glaube ist, dass die Oculus zur Standard-Peripherie für die Rezeption von Computerspielen wird. Dazu gibt es zu viele physiologische (Motion-Sickness, Ermüdungserscheinungen von Augen, Nacken etc.) sowie spielkulturelle (inkompatible Genres/Designs, fehlende eSport-Präzision, beschränkt auf „Wohnzimmer-Gaming“ etc.) Hindernisse. Ähnlich wie beim 3D-Kino wird sich die Oculus-Nutzung langfristig auf einen relativ schmalen Kanon speziell zugeschnittener Spiele konzentrieren, die kurze, auf visuell-atmosphärisch-kinetische Eindrücke fokussierte Erfahrungen bieten. Dadurch ist der Impact von Gewalt-Darstellungen über die Oculus Rift auf die gesamte Spielkultur grundsätzlich erstmal eingeschränkt. Als Spieler*in wird konkret wohl zunächst mal ein intensiveres Gewalt-Erleben – noch näher am eigenen Leib – erfahren, dass sich aber, wie bei früheren Aktualisierungen der Gewalt-Repräsentation und -Rezeption, mit der Zeit abnutzt bzw. sich nach ein paar „Skandalen“ normalisiert. Gut möglich wäre aber auch, dass die ästhetische Strategie der Gewalt als noch störender wahrgenommen wird und nur noch gezielt-punktuell eingesetzt wird. Gesellschaftlich könnte es schwieriger werden: Der nach wie vor etablierte „Aberglaube“, dass eine leiblichere Medienerfahrung auch eine signifikant erhöhte (negative) Medienwirkung mit sich zieht, könnte dem populistisch-geführten Gewalt-Diskurs neue Energie geben. Schließlich ist man jetzt „noch näher am Geschehen“ und hat den Finger quasi „direkt am Abzug“. Sachliche Forschung/Berichterstattung dazu sollte es geben, aber zu erwarten ist, dass etablierte VR-Dystopien für laute Moral-Panic herhalten müssen. Zu hoffen/erwarten bleibt, dass sich das nach wenigen Wochen/Monaten auch wieder überlebt hat…

Michael betreibt außerdem den sehr empfehlenswerten YouTube-Kanal »gamesandpolitics« auf dem er sich regelmäßig mit den politischen Implikationen von Computerspielen auseinandersetzt. Sein Oculus-Rift-Artikel findet sich hier als Video ausgearbeitet wieder:

Fun Fact: Das ist schon das zweite Mal, dass ich zur Oculus Rift zitiert werde. Der Axel-Springer-Verlag fand einen Twitter-Kommentar von mir so gut, dass er ihn – total korrekt! – in der Computer Bild Spiele abgedruckt hat:

ComputerBILD Spiele zitiert falsch