Eine Kritik am Flow als Game-Design-Paradigma. Oder: Warum ich lieber gegen den Flow schwimme.

Seit Oktober 2012 ist der offizielle Sammelband zur Tagung »flow aus_spielen« – die am 9. und 10. März 2012 im phæno in Wolfsburg stattfand – beim blumenkamp Verlag erhältlich. Ein großartiger Tagungsband zu einer großartigen Tagung!

Mit dabei ist meine verschriftlichte Kritik am Flow als Game-Design-Paradigma, die nun auch Online hier im Blog zu lesen ist. Wer einen guten Leseflow hat, kann den Kaufrausch bei Amazon.de gleich anschließen:

Eine Kritik am Flow als Game-Design-Paradigma.

Oder: Warum ich lieber gegen den Flow schwimme.

von Christian Huberts

flow aus spielen: Optimale Erfahrung durch Computerspiele
Anne-Kristin Langner, Mathias Mertens (Hg.)
flow aus spielen:
Optimale Erfahrungen durch Computerspiele.
blumenkamp Verlag, Oktober 2012, 252 Seiten,
Paperback, 30,00 Euro (D), 30,90 Euro (A)
ISBN: 978-3-942958-07-3

Ich bewege mich durch einen Tunnel. Nein, genau genommen sind es zwei Tunnel. Der eine verläuft – in Ignoranz realer Frontlinien – geradlinig durch Nazi-Deutschland. Der andere ist der Tunnel des so genannten ›Flow‹ (vgl. Csíkszentmihályi 1990, 74f.), der sich schnurstracks durch mein Bewusstsein zieht. Beide ergänzen sich ziemlich gut. Während ich in dem einen Tunnel ganz auf mein Ziel – den nächsten Auslöser eines Scripts – konzentriert auf Nazis ballere, blendet der andere Tunnel bequem Zeit und lästige Nebengedanken aus und sorgt so für selige Stimmung beim Kopfschießen. Erst wenn der letzte Kraut in den Dreck der Seelower Höhen blutet, das Dauerfeuer verstummt und eine selbstablaufende Animations-Choreographie abgefahren wird, dringt jener Gedanke an die Oberfläche, der mich beim Spielen von Call of Duty: World at War (2008) unauffällig verfolgt hat: ›Was mache ich hier eigentlich?‹

Diese Frage betrifft nicht die Darstellung und Durchführung virtueller Gewalt, nein, ein paar tote Nazi-Polygone gehen schon in Ordnung. Eher trägt die Frage der irritierenden Beobachtung Rechnung, dass ich seit Stunden die Rail-Shooter-Hardcore-Version der allseits beliebten Moorhuhnjagd (1999) spiele, ohne mir auch nur einen Gedanken darüber zu machen, wie abgrundtief sinnlos, unkreativ und stupide das Ganze im Grunde doch ist. World at War mag einer »optimal experience« (ebd., 3) nahekommen, aber weder handelt es sich um ein revolutionäres Stück Software, noch verwandelt mich das Spiel in ein »more complex being« (ebd., 6), wie es die Flow-Theorie in Aussicht stellt. Nein, ich war und bin ein einfacher Typ, der durch zwei Tunnel fließt und im Akkord die Mohrhühner der deutschen Wehrmacht abknallt, sobald sie aus ihrer Deckung hervorlugen. Ich bin die närrische Hauptattraktion im Flow-Zirkus der Computerspiele.

Computerspielfluss

Fangen wir weiter vorne an. Flow und Computerspiel passen ziemlich gut zusammen. So viel muss man der Theorie des ungarischen Psychologen Mihály Csíkszentmihályi (kurz: Csík) uneingeschränkt eingestehen. Die Erfahrung des Spielens erfüllt in den meisten Fällen die Kriterien seiner so genannten »optimal experience«, der Optimalen Erfahrung des Flows: »a sense that one’s skills are adequate to cope with the challenges at hand, in a goal-directed, rule-bound action system that provides clear clues as to how well one is performing.« (Ebd., 71)

Ein großer Reiz daran, Computerspiele zu spielen, ist jenes Gefühl der absoluten Kontrolle und der Auflösung im Spiel, das Csík als Flow oder Optimale Erfahrung bezeichnet. Dieses Gefühl ist es auch, das die meisten Spieler an Computerspielen fasziniert und sie für lange Zeit am Spielen hält. Es ist also nur noch ein kleiner Schritt, Csíks Theorie als methodische Grundlage für die Erforschung der positiven, psychologischen Effekte von Computerspielen zu benutzen: »Flow is one way of understanding that pleasure which draws players to a game and keeps them there« (Salen/Zimmerman 2004, 338). Und es ist ein ebenso kleiner Schritt, Computerspiele auf ihre Funktion als Optimale Erfahrung zu reduzieren. Schließlich scheint es auf den ersten Blick offensichtlich, dass sie sich seit ihren Anfängen an der Optimierung des Designs von Flow-Zuständen abarbeiten.

Aufgrund dieser starken, theoretischen Konvergenz, sind die Game Studies schnell und dankbar auf Csíks Konzepte angesprungen. Das mag damit zusammenhängen, dass die Theorie der Optimalen Erfahrung, im gedankenverlorenen Flow zielgerichteter und regelgebundener Forschungsarbeit, sofort optimale Ergebnisse liefert. In erster Linie dreht man aber wohl einfach nicht an einer bequemen, befriedigenden und wohlklingenden Theorie herum: »The rules, goals, feedback, uncertain outcome, and other qualities of games make them fertile terrain for the flowering of a flow experience.« (Ebd., 338) Computerspiele stehen damit, hält man sich an Csík, in bester Tradition mit den meisten anderen spielerischen, sportlichen oder sonstigen Tätigkeiten, die sich auf die optimierte Produktion von – wie auch immer geartetem – Glück zu beschränken scheinen:

»[T]hey were designed to make optimal experience easier to achieve. They have rules that require the learning of skills, they set up goals, they provide feedback, they make control possible. They facilitate concentration and involvement by making the activity as distinct as possible from the so-called ›paramount reality‹ of everyday existence.«

Csíkszentmihályi 1990, 72

Darüber hinaus bietet die Flow-Theorie – mit ihrer Ausrichtung auf Glückszustände – eine Steilvorlage für Game Designer zur Erzeugung dessen, was gemeinhin als Spielspaß bezeichnet wird. Die Bedingungen und Eigenschaften der Optimalen Erfahrung bilden eine detaillierte Blaupause des Heiligen Grals spaßigen Spieldesigns: »A well-designed game transports its players to their personal Flow Zones, delivering genuine feelings of pleasure and happiness.« (Chen 2007, 31) Game Design ist in diesem Sinne ein Prozess der Konzentration und Herausarbeitung der Kriterien des Flows. Eine Arbeitsweise, die vor allem in Debatten um das Suchtpotential von Computerspielen in der Kritik steht. Selbst Csík sieht die Gefahr, dass der Flow »[…] can become addictive, at which point the self becomes captive of a certain kind of order, and is then unwilling to cope with the ambiguities of life« (Csíkszentmihályi 1990, 62). Dass hält aber beispielsweise die alternate reality game-Designerin Jane McGonigal nicht davon ab, gleich die ganze, depressive Realität mit Hilfe von positiver Psychologie reparieren zu wollen: »Compared with games, reality is depressing. Games focus our energy, with relentless optimism, on something we‘re good at and enjoy.« (McGonigal 2011, 38)

Für den Großteil der Fachpresse sind jene geordneten Elemente, die für Csík den Flow konstituieren, jedoch ein großer Segen und Grundlage für die Bewertung des so genannten ›Gameplays‹ von Computerspielen. »Gamers value video games based on whether or not they provide a Flow experience.« (Chen 2007, 32) Die Wertung eines Computerspiels ist also nicht selten gleichzusetzen mit der prozentualen Wahrscheinlichkeit einer Flow-Erfahrung. Man kann nahezu jedes Gaming-Magazin am Kiosk in die Hand nehmen und liest entweder Positives zu perfekter Steuerung und befriedigendem Feedback, oder aber Negatives zu unklaren Zielstellungen und frustrierendem Schwierigkeitsgrad. Die Bedingungen des Flows scheinen ebenfalls die Bedingungen für eine qualitativ hochwertige Spielerfahrung zu sein. Übersetzt in einen Prozentwert oder eine Schulnote, wird dem Spieler Orientierung auf der Suche nach dem ludischen Glück und dem Game Designer Ordnung und Rückmeldung für seine Flow-(und damit auch Gewinn-)Optimierung geboten.

Man müsste also annehmen, der Flow sei ein funktionierendes theoretisches Konstrukt, um Computerspiele zu einem verstandenen, unterhaltsamen und immer bedeutungsvolleren Medium zu machen. Schließlich sind die vermeintlichen Bedingungen für ein gutes Spiel erkannt und die Optimierung der Spielerfahrung scheint sowohl im Sinne der Spieler wie der Spielemacher. Doch wenn sich nun alle Spiele an das Dogma der Optimalen Erfahrung halten, sehen sie dann nicht am Ende alle gleich aus und bieten uns im Großen und Ganzen identische (Flow-)Erfahrungen? Ist eine Optimale Erfahrung wirklich die einzige Erfahrung, die wir in einem Computerspiel suchen? Macht es wirklich nachhaltig glücklich, gedanken- und bewusstlos durch den Tunnel des Flows zu düsen? Und wie lässt sich die vermeintliche Komplexität der Optimalen Erfahrung damit unter einen Hut bringen, dass sich der Flow mitunter schon mit den eintönigsten und anspruchslosesten Spielmechaniken – wie etwa in Ian Bogosts parodistischem, aber dennoch erfolgreichem Social Game Cow Clicker (2010) – erzeugen lässt?

Einige Fragen an den Flow bleiben also offen. Von den besorgten Hinweisen auf die Gefahr der Computerspielsucht einmal abgesehen, bleibt die Dominanz der Optimalen Erfahrung aber weitestgehend unhinterfragt. Computerspiele sollten jedoch nicht auf reine Spaßmaschinen reduziert werden. Als bedeutender Teil der Kultur spiegeln sie mehr als nur unsere Vergnügungssucht wieder. Sie sind »[n]icht nur ein Spiel, sondern ein Teil von uns« (Huberts 2010, 14). Und Computerspiele widersetzen sich nachhaltig – zumindest mit genügend »gaming literacy« (Zimmerman 2009, 23) in der Hinterhand – der Reduktion auf ein schlichtes »goal-directed, rule-bound action system that provides clear clues as to how well one is performing« (Csíkszentmihályi 1990, 71). Sie sind viel mehr als optimal.

»[D]er ›Witz‹ des Spiels […] widerstrebt jeder Analyse, jeder logischen Interpretation. […] Im Spiel haben wir es mit einer für jedermann ohne weiteres erkennbaren, unbedingt primären Lebenskategorie zu tun, mit einer Ganzheit, wenn es je etwas gibt, was diesen Namen verdient. Wir müssen uns Mühe geben, es in seiner Ganzheit zu betrachten und zu werten.«

Huizinga 2004, 11

»Csík is sick!«

Problematisch ist zunächst, dass Csíks Flow-Theorie nicht frei von Widersprüchen, Vorurteilen und konservativen Verknappungen ist. Das macht Missverständnisse wahrscheinlich und produziert schnell neue Vorurteile und verzerrte Perspektiven. So fällt nicht unwesentlich auf, dass Csík einem ausgemachten Rationalismus frönt. Flow ist eine Frage der Rationalität. Nur wenn wir unsere Emotionen, Triebe und Gedanken unter Kontrolle und in Ordnung bringen, können wir zu einem produktiven Flow-Erlebnis kommen, das uns zu besseren Menschen macht. »A person who has achieved control over psychic energy and has invested it in consciously chosen goals cannot help but grow into a more complex being.« (Csíkszentmihályi 1990, 6) Logische Verknüpfungen und kausale Reihungen sind der Weg zu diesem Wachstum. Menschliche Triebe, bewusstseinserweiternde Drogen, psychische ›Störungen‹, ja selbst Träume können jedoch – nach Csík – nicht wirklich zu Glück und einem komplexeren Bewusstsein führen, so natürlich diese Zustände auch sein mögen. Chaotische Ereignisketten und assoziative Verknüpfungen zerstören oder verzerren die Ordnung des Bewusstseins und damit das Potential der Optimalen Erfahrung. Auch wenn er Träume und Drogenerfahrungen nie kategorisch als Quelle von Flow ausschließt, so macht Csíks argumentativer Gestus dennoch deutlich, dass es sich im Grunde um entropische Zustände handelt: »Entropy is the normal state of consciousness – a condition that is neither useful nor enjoyable.« (Ebd., 119) Es werden also von Beginn an komplette Facetten des menschlichen Daseins als primäre Quellen positiver, konstruktiver Flow-Erfahrungen disqualifiziert. Csík erscheint als Opfer einer »Aneristischen Delusion«:

»[S]ich vorzustellen, die Ordnung gefunden zu haben, und dann anzufangen, die quirlenden, exzentrischen Dinge, die drum herum existieren, durch Manipulation in militärische Abteilungen, in Phalanxen, zu zwängen, die dem Konzept der Ordnung entsprechen, die sie vermeintlich manifestieren.«

Shea/Wilson 2011, 1, 365

Ein weiterer fragwürdiger Punkt in Csíks Theorie ist das Paradigma der Optimierung, das hinter allen Bedingungen und Eigenschaften des Flow-Zustands steht. Eine Optimale Erfahrung entsteht nicht spontan, einfach so, sondern ist stets Ergebnis eines Prozesses der Steigerung, der Verbesserung und der (An-)Ordnung. Zu diesem Zweck wird jede unserer Erfahrungen einem Prozess der Bewertung unterzogen, der auf einen optimierten Weg zum Ziel hinausläuft. Csíks »phenomenological model of consciousness based on information theory« (Csíkszentmihályi 1990, 25) sieht das menschliche Bewusstsein als eine Art Datenschnittstelle, die darauf programmiert werden muss, nur bestimmte Informationen als hilfreich zuzulassen. »Every piece of information we process gets evaluated for its bearing on the self. Does it threaten our goals, does it support them, or is it neutral?« (Ebd., 39) Der Flow, so macht Csík klar, ist ein Stück harter Arbeit an dieser menschlichen Hard- und Software und kann nur durch disziplinierte Einübung entstehen. »It is not enough to know how to do it; one must do it, consistently, in the same way as athletes or musicians who must keep practicing what they know in theory. And this is never easy.« (Ebd., 21) Das Ziel aber ist jeweils klar. Alle Bemühungen, die Optimale Erfahrung zu erreichen, zielen schlussendlich dahin, dass wir uns durch Selbstprogrammierung einem menschlichen Ideal nähern – zumindest ideal im Sinne von Csík. »By stretching skills, by reaching toward higher challenges, such a person becomes an increasingly extraordinary individual.« (Ebd., 6) Csík schwebt letztendlich also ein außergewöhnliches Individuum vor, das alle seine Herausforderungen mit vollendetem Bewusstsein und hedonistischer Glückseligkeit angeht. Das erinnert sehr deutlich an »Hedonic Engineering and Development« (kurz: HEAD) im Stile von Timothy Leary und Robert Anton Wilson: »Lerne deinen eigenen HEAD-Raum zu programmieren. Sei der erste hedonistische Ingenieur in deinem Häuserblock.« (Wilson 2004, 15) Doch was sich bei Wilson noch als ›Guerilla-Ontologie‹ verbuchen lässt, scheint Csík absolut ernst zu meinen. Der adipöse Otto-Normal-Computerspieler kann da nur in Ehrfurcht erstarren. »[H]e has to surrender to the things that his body has been programmed (or misprogrammed) to do.« (Csíkszentmihályi 1990, 18) Wer unglücklich ist, macht sich schlampiger Programmierung schuldig und wer hingegen seinen menschlichen Code durch »Hedonistische Steuerung« (Wilson 2004, 11) optimiert, kann nur ein glücklicherer, optimalerer und freierer Mensch werden. Man könnte berechtigter Weise – ob dieser mechanisch-informatischen Vorstellung menschlichen Entwicklungspotentials – mit Marshall McLuhan fragen: »Why train men if there is only a market for robots?« (McLuhan 2001, 128)

Der Spielspaß im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit

Für die Betrachtung vom Flow im Computerspiel sind Csíks Paradigmen von besonderem Interesse. Sowohl die Disqualifikation von Entropie als auch der Hang zur Optimierung lassen sich in den meisten Computerspielen entdecken. Es liegt also nahe, besondere Aufmerksamkeit auf die Analyse der Elemente der Ordnung sowie der Elemente der Optimierung in digitalen Spielen zu legen. Denn die Dogmen des Flow-Designs sind, wie schon betont, nicht selten ebenfalls die Dogmen des Game-Designs. Und es gilt zu fragen, ob die Fixierung auf Csíks Kriterien des Flows tatsächlich in jedem Fall für Computerspiele sinnvoll ist und ob es nicht auch andere Formen und Quellen reicher Erfahrungen gibt. Es soll daher für die wichtigsten Flow-Kriterien von Csík jeweils ein Gegenbeispiel gefunden werden. Ein Computerspiel, das mit dem Flow bricht, ihn umkehrt oder auf ungewöhnlichen Wegen erzielt. Digitale Spiele, die sich noch eine ursprüngliche Aura des Spielens bewahrt haben, die mit uns spielen und uns nicht am Fließband der Rationalität konstruiertes Glück vorsetzen.

»Die Tiere können spielen, also sind sie bereits mehr als mechanische Dinge. Wir spielen und wissen, daß wir spielen, also sind wir mehr als bloß vernünftige Wesen, denn das Spiel ist unvernünftig.«

Huizinga 2004, 12

Der Flow der Passivität

»A Challenging Activity That Requieres Skills« (Csíkszentmihályi 1990, 49): Man möchte sofort zustimmen, dass Computerspiele ihren Reiz aus gekonnter Herausforderung und der Möglichkeit absoluter Kontrolle ziehen. Aber gerade die jüngste Vergangenheit zeigt, dass Computerspiele längst nicht mehr darauf beschränkt sind, das Können und Geschick ihrer Spieler herauszufordern und Kontrolle zu ermöglichen. Ein bemerkenswertes Beispiel ist Dinner Date (2010). In dem experimentellen Indie-Game befindet sich der Spieler im Unterbewusstsein von Julian Luxemburg, einem typischen Mittzwanziger, der vergeblich auf eine romantische Verabredung wartet. Der Spieler wird dabei fast vollständig in die Rolle des Beobachters gedrängt. Er kann lediglich per Tastendruck mal den Blick auf die Uhr richten, mal ein Stück Kuchen essen oder von Zeit zu Zeit an der Zigarette ziehen, während er Julians unveränderlichem Gedankenmonolog folgt. »Everything we experience […] is represented in the mind as information. If we are able to control this information, we can decide what our lives will be like.« (Ebd., 6)

Doch wir haben keinen Einfluss auf die Informationen in Julian Luxemburgs Kopf. Das ist weder herausfordernd noch erfordert es Können oder erlaubt es Kontrolle. Dennoch entfaltet Dinner Date einen intensiven Sog. Es ist ein passiver Flow, der hier entsteht, eine meditative Haltung, die auf banalen Handlungsmöglichkeiten und empathischer Identifizierung mit Julian basiert. Sicherlich nicht für jedermann eine Optimale Erfahrung, aber doch eine Erfahrung, die bewegt, die Fragen aufwirft und zu neuem Bewusstsein führt. Dinner Date ist eine Meditation auf das Warten, eine Einübung in Passivität und eine produktive Erfahrung des Kontrollverlusts. Für Csík – der offensichtlich noch nie vom luziden Träumen gehört hat – stellt das Spiel aber wohl eher eine entropische, nutzlose Bewusstseinstrübung dar:

»Despite the fact that I perceive, feel, think, and form intentions in the dream, I cannot act on these processes […] and hence, I am not conscious. In dreams we are locked into a single scenario we cannot change at will.«

Ebd., 26

Der Flow der Selbsterkenntnis

»The Merging of Action and Awareness« (ebd., 53) / »Concentration on the Task at Hand« (ebd., 58) / »The Loss of Self-Consciousness« (ebd., 62): Wohl kaum jemand fragt sich im Eifer des Computerspiels was er da gerade tut. Im Idealfall ist der Spieler mit seiner Aufmerksamkeit komplett in der Action des Spiels versunken, ohne sich von emotionalen, moralischen oder sonstigen Störfaktoren ablenken zu lassen. Man könnte in solchen Fällen – auch wenn es nach pädagogischem Kulturpessimismus klingt – durchaus von bewusster Selbsthypnose des Spielers mit Hilfe des Spiels reden. Oder, wie Claus Pias, von einer »selbstpädagogisierten Aufführung einer Programmpartitur« (Pias 2002, 49). Das Bewusstsein des Selbst wird dabei vorübergehend amputiert und zur Optimierung von Glück und Erfolg durch die volle Konzentration auf das Spiel substituiert. Doch so viel Spaß das auch machen mag, eines sollte klar sein: »Self-amputation forbids self-recognition.« (McLuhan 2007, 47) Der Automatismus der Handlung lässt sich schwer mit einem (Selbst-)Bewusstsein der Handlung unter einen Hut bringen. Einige moderne Spiele scheinen genau dieses Problem erkannt zu haben, versuchen mit der Verschmelzung von Handlung und Aufmerksamkeit zu brechen und kitzeln stattdessen das Gewissen des Spielers. Ein bemerkenswertes Beispiel dafür ist eine Szene aus dem Computerspiel/Film-Hybrid Heavy Rain (2010). Als Familienvater Ethan Mars müssen wir am Geburtstag seines Sohnes ein Quick Time Event (QTE) absolvieren. Folgen wir blind den durch andere Spiele antrainierten Automatismen und erfüllen die Programmpartitur, verpassen wir dem Jungen beim gespielten Schwertkampf jedoch eine ordentliche Tracht Prügel. Das QTE-Interface signalisiert Erfolg, aber die emotionale Reaktion des Kindes zeigt uns eine deutliche, zwischenmenschliche Niederlage. Heavy Rain verlangt von uns, dass wir unsere Aufmerksamkeit weg von unseren Aktionen und hin auf die daraus entstehenden Konsequenzen lenken. »But in flow there is no need to reflect, because the action carries us forward as if by magic.« (Csíkszentmihályi 1990, 54)

Wollen wir das Kind in der Magie des optimalen Moments nicht körperlich und emotional misshandeln, müssen wir lernen, das QTE-Interface zu ignorieren, nicht zu reagieren – selbst wenn es von uns verlangt wird – und absichtlich gegen den kleinen Jungen zu verlieren. Wir werden aus der Konzentration auf die vordergründige Tätigkeit herausgerissen und unsere Selbsterkenntnis wird geweckt. Unsere Aufmerksamkeit löst sich von den klaren, rationalen Zielen des Spiels und wir hinterfragen das Interface mit Hilfe eigener Erinnerungen, Erfahrungen und Intuitionen. Heavy Rain bietet viele ähnliche Momente und wird gerade für solch höchst-involvierende Erfahrungen von der Kritik gewürdigt. Der Flow bleibt dabei intakt, verlangt aber keine Optimierung, sondern gesunden Instinkt. Das Interface üben wir nur noch ein, um es im Anschluss problemlos ignorieren zu können. Auch diese Erfahrung mag für viele Gamer nicht optimal sein, aber sie führt doch zu positiven Erkenntnissen und zu einer selbstbewussten Bevorzugung von emotionaler Intuition über rationale Erfolgsbedingungen. Für Csík stellt das hingegen eher einen Problembestand dar:

»The problem is that it has recently become fashionable to regard whatever we feel inside as the true voice of nature speaking. The only authority many people trust today is instinct. If something feels good, if it is natural and spontaneous, then it must be right.«

Ebd., 18

Der Flow der Ratlosigkeit

»Clear Goals and Feedback« (ebd., 54): Eines der hartnäckigsten Dogmen des modernen Game Designs ist das Beharren auf klaren Zielen und eindeutigem Feedback. Es scheint als hätte der wissenschaftliche Erfahrungshorizont vieler Pioniere des Computerspiels bis heute großen Einfluss und ließe keine ungenauen, verzerrten oder fehlenden Daten zu. Computerspiele müssen idealerweise wie ein exaktes Uhrwerk funktionieren, wo nichts dem Zufall überlassen bleibt, wollen sie nicht als fehlerhaft wahrgenommen werden. Unordnung im Spiel bringt nur Unordnung in die Köpfe der Spieler. Aber: »The optimal state of inner experience is one in which there is order in consciousness.« (Ebd., 6) Folglich gibt es kaum Spiele in denen nicht zu jeder Zeit klar ist, was als Nächstes zu tun ist und was das große Ziel des Ganzen ist. Doch auch hier sammeln sich die Ausnahmen. Das russische Indie-Game The Void (2009) treibt es sogar besonders weit mit der Entropie. Als verlorene Seele streifen wir durch eine düstere Welt zwischen Leben und Tod. Die Aufgaben die wir bekommen bleiben kryptisch und widersprüchlich. Die Naturgesetze der Zwischenwelt werden weder in klaren Worten erklärt noch bekommen wir ein eindeutiges Feedback zu unseren Handlungen. So kann es passieren, dass wir einen Garten mit Farbe zum Blühen bringen, neue Farbe ernten und davon überzeugt sind, die karge Welt mit Leben zu füllen. Und schon wenig später müssen wir feststellen, dass wir die Lücke zwischen Leben und Tod nur noch lebloser gemacht und den Verfall beschleunigt haben. Gewinnen lässt sich The Void jetzt nicht mehr, wir müssen wieder ganz von vorne anfangen, diesmal ein kleines Stück klüger.

Das Spiel ist aus diesem Grund in vielen Momenten eine sehr frustrierende Erfahrung, da sich die Informationen, die der Spieler für vertrauenswürdig hält, nicht selten als falsch herausstellen. Die Ziele verändern sich fortwährend und die Rückmeldungen der Spielwelt liefern selten ausreichend Sicherheit. Alles bleibt fragwürdig, muss willkürlich mit Sinn gefüllt oder dazuhalluziniert werden. Es ist wie ein kleiner Drogentrip, der die Grenzen unserer Wahrnehmung sprengt. Csík widerspricht dieser Erweiterung des Bewusstseins durch Halluzination deutlich: »[…] all we can do is shuffle its content, which gives us the impression of having broadened it somehow.« (Ebd., 74) Doch wie sollen neue Ideen und Erfahrungen anders entstehen als durch das Durchschütteln von vergangener Wahrnehmung? Genau darum ist The Void ein faszinierendes Computerspiel. Lässt man sich darauf ein kann man auch aus der fortwährenden Ratlosigkeit zu einem Flow-Erlebnis kommen. Gerade das freie Schweben in widersprüchlichen, sinnlosen oder fehlenden Daten ist eine produktive Erfahrung, die Spontanität, Risikofreude und Innovation fördert. Auch wenn Csík das vielleicht anders sehen würde:

»Whenever information disrupts consciousness by threatening its goals we have a condition of inner disorder, or psychic entropy, a disorganization of the self that impairs its effectiveness. Prolonged experiences of this kind can weaken the self to the point that it is no longer able to invest attention and pursue its goals.«

Ebd., 37

Selbstkritik

Bei aller Kritik muss man Csík dennoch anerkennen, dass er auch selbst immer wieder auf Ausnahmen und negative Aspekte des Flows hinweist. So folgt der Weg zur Optimalen Erfahrung beispielsweise keinem Standardrezept: »It cannot be condensed into a formula; it cannot be memorized and then routinely applied.« (Ebd., 21) Das entschädigt jedoch nicht für Csíks eindeutige Bevorzugung von Rationalität und Ordnung gegenüber Irrationalität und Entropie. Und leider wird Csíks eigene kritische Haltung gegenüber der Optimalen Erfahrung – auch weil sie sich sehr subtil gibt – kaum wahrgenommen. Die Flow-Theorie hat nach wie vor großen Einfluss auf die Lehre und Praxis des Game Designs. Solange sich aber Computerspiele nicht von den einfachen Blaupausen für schnellen Spielspaß lösen können, werden sie wohl auch weiterhin auf der Stelle treten und nur als etwas wahrgenommen werden, das die Zeit auf unterhaltsame Weise transformiert.

Zu den erwähnenswerten Ausnahmen zählt unter anderem das Copenhagen Game Collective, das seine ganz eigene, ›missbräuchliche‹ Vorstellung von gutem Game Design besitzt: »Rather than give players what they ›want‹ or what they supposedly ›need‹, abusive game designers give players something idiosyncratic, weird, and confrontational.« (Sicart/Wilson 2010, s.p.) Erst wenn sich der Designer, durch die Irritation der Erwartungen und Kenntnisse des Spielers, selbst sichtbar macht, wird der nötige Raum für produktive Kritik geschaffen. Nur der luzide Spieler, der immer mal wieder aus dem Flow aufwacht, besitzt die nötige Distanz, die Qualität seiner Spielerfahrung wahrzunehmen und andere Erfahrungen einzufordern. »Be ludic, but also lucid.« (Wark 2007, s.p.) Der Spielspaß im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit verliert jedoch seine Aura. Er ist nichts Einzigartiges mehr, keine besondere Erfahrung, die uns über den eigenen Tellerrand schauen lässt, abseits jeder Optimalität. Wahrer Flow, so weiß auch Csík, muss aber Grenzen überwinden:

»Enjoyable events occur when a person has not only met some prior expectation or satisfied a need or a desire but also gone beyond what he or she has been programmed to do and achieved something unexpected, perhaps something even unimagined before.«

Csíkszentmihályi 1990, 46

Reinheitsgebot

Es soll nicht der Eindruck entstehen, die Flow-Theorie sei von Grund auf unbrauchbar im Kontext digitaler Spiele. Vielmehr sollte sie in Bezug auf Computerspiele von einigen paradigmatischen Behauptungen befreit werden. Csíks Hang zu Rationalität und Ordnung mag nicht komplett ungerechtfertigt sein, führt als Fundament einer Flow-Theorie im Computerspiel aber schnell zu einer Verarmung der Vielfalt von Game Design. »Das Spiel […] ist nun plötzlich, da es nicht mehr um ›Freiheit‹, sondern um Optimierung geht, zugleich Arbeit.« (Pias 2002, 41) Die Optimale Erfahrung muss also von ihrer Optimalität gelöst werden und an einem früheren Punkt ansetzen. Bei einer einfachen Erfahrung, einer reinen Erfahrung des Flows:

»In der unmittelbaren Erfahrung des eigenen Bewußtseinszustands gibt es noch kein Subjekt und kein Objekt. Die Erkenntnis und ihr Gegenstand sind völlig eins: Das ist die reinste Form der Erfahrung.«

Nishida 2001, 29

Ein Konzept, das dies leisten könnte, ist die »Reine Erfahrung« (ebd., 29) des japanischen Philosophen Nishida Kitarō. Die Reine Erfahrung ähnelt der Erfahrung des Flows ungemein, ist eine ebensolche »Wahrnehmungskontinuität« (ebd., 32) und geht ganz in der augenblicklichen Aufmerksamkeit auf. »[I]m Fokus des Bewußtseins liegt immer die Gegenwart. Somit fällt der Bereich der Reinen Erfahrung immer von selbst mit dem Bereich der Aufmerksamkeit zusammen.« (Ebd., 32) Nishida verzichtet dabei jedoch auf Csíks rationale Urteile beziehungsweise kehrt deren Bedeutung für den Flow um. So ist die Reine Erfahrung kein Zustand mehr, der sich bewusst erzielen lässt. Eher ist sie ein Zustand, der durch Unbewusstsein beziehungsweise die Einübung in Unbewusstsein entsteht. In dem Moment aber, in dem wir – wie von Csík vorgeschlagen – rational abwägen, welche Bewusstseinsinhalte für das Erreichen unserer Ziele am vorteilhaftesten sind, verlassen wir die Reine Erfahrung. »In diesem Moment ist die Reine Erfahrung analysiert und zerbrochen.« (Ebd., 38) Die Einübung eines Computerspiels dient uns also nicht mehr dazu, unsere rationalen Urteile über eine Situation in eine optimale Ordnung zu bringen, sondern unser Handeln bis zur Spontanität hin zu vereinheitlichen. »So wird zum Beispiel beim Erlernen einer Kunstfertigkeit das anfänglich Bewußte im Laufe der Vervollkommnung unbewußt.« (Ebd., 39)

Wir erlangen den Flow, aber der Weg dorthin ist – trotz oberflächlicher Ähnlichkeit – ein anderer. Bei der Reinen Erfahrung gibt es keine zwingende Notwendigkeit für Ziele oder für eine rationale Wahl. »[D]er vor eine Wahl gestellte Wille hat bereits seine Freiheit verloren, nur durch Übung kann er erneut spontan werden.« (Ebd., 35f.) Wo Csík spontane Eingaben des Bewusstseins für entropische, zwanghafte Triebe hält, stellt sich bei Nishida die Sache genau andersherum dar. Der falsch verstandene Wille, das rationale Streben nach einem Ziel, ist es was uns zur Unfreiheit verdammt. »Das Wesen des Willens liegt nicht in dem auf die Zukunft gerichteten Verlangen, sondern in der ganz gegenwärtigen Aktivität.« (Ebd., 35f.) Für das Game Design kann das bedeuten, dass nicht mehr nach einer Erfahrung gesucht werden muss, die dem Anspruch gerecht wird, optimal zu sein. Eher kann es – mit Nishidas dem Flow ähnlichen Konzept im Kopf – darum gehen, einfache, augenblickliche Erfahrungen zu erschaffen. Flow-Zustände, die nicht auf eine bestimmte Ordnung zielen, sondern sich in ihrer augenblicklichen Qualität genügen. Es bedarf keiner Teleologie der Selbstperfektionierung oder einer Hypnose durch Optimierungsprozesse. Die reine Erfahrung der Reinen Erfahrung ist genug. »In the timeless time of the video screen, […] we act out a tireless existential drama of ›now‹ time.« (Bernstein 2001, 165)

Computerspiele könnten also eine Menge lernen, wenn sie den Flow-Begriff auf das offenere Fundament von Nishidas Reiner Erfahrung stellen. Neue Erfahrungen werden denkbar, die vorher als absolut widersprüchlich zum Computerspiel galten. So beispielsweise Tatenlosigkeit als legitime Spielhandlung. »Der Wille bedingt nicht notwendig Handlung. Auch wenn wegen äußerer Bedingungen keine Handlung stattfindet, bleibt der Wille Wille.« (Nishida 2001, 51) In diesem Verständnis des Flows können wir auch durch Passivität am Spiel teilnehmen. Unser Spielwille bleibt intakt, auch wenn wir vordergründig nicht zu spielen scheinen. Vor allem aber befreit uns die Erkenntnis der Reinen Erfahrung aus der Gefangenschaft klarer Regelstrukturen und eindeutiger Ziele. Hier sind wir eine tatsächliche »autotelic personality« (Csíkszentmihályi 1990, 83), statt durch Anpassung an einen optimalen Zustand zu einer heterotelischen Persönlichkeit gemacht zu werden. Frei sind wir auch im Computerspiel nur, wenn wir im Moment bleiben und nicht den dogmatischen Geboten eines selbsternannten Glückspropheten folgen. Denn: »Freiheit bedeutet zweierlei. Zum einen, keine Ursache zu haben, zufällig zu sein. Zum andern, ohne äußerem Zwang ausgesetzt zu sein, aus sich selbst zu wirken.« (Nishida 2001, 137)

Der Tunnel in die Freiheit

So kämpfe ich mich also aus den Schützentunneln der Seelower Höhen und dem Bewusstseinstunnel von Csíks Optimaler Erfahrung. Ich erwache am Strand. Mit den virtuellen Händen beginne ich einen neuen Tunnel in die Erde zu graben. Nur provisorisch, zum Schutz in meiner ersten Nacht in der Welt von Minecraft (2009). Allein in der Dunkelheit höre ich hinter einer dünnen Wand aus Erde Zombies stöhnen und Spinnen zischen. Erst morgens, wenn es wieder hell und still ist, gehe ich nach draußen. Vor mir liegt eine potentiell unendliche, zufallsgenerierte Welt bestehend aus Quadraten. Es gibt kein festes Ziel, nichts zwingend zu retten oder zu erreichen. Aber in meinem Kopf ist da dennoch etwas. Eine Idee. Meine nächste Herberge für die Nacht soll schicker sein, komfortabler und heller. Und so grabe ich Tunnel über Tunnel, sammle Ressourcen und baue Werkzeuge. Jeder Tunnel, den ich grabe, ist mein eigener, war meine Idee, mein Wille. Genauso wie mein erstes Haus in der Felswand. Wie der Balkon und der Dachgarten. Als nächstes baue ich ein Boot und suche nach neuen Landschaften. In der Wüste errichte ich eine Pyramide. Warum? Ich weiß es nicht. Weil ich kann. Weil mich das Sandkasten-Spiel Minecraft lässt. Und weil ich es will, weil es mein Wille ist. Die nächsten Ideen warten schon auf ihre Umsetzung. Ein Baumhaus wäre cool. Ein Haus unter der Wasseroberfläche wäre noch besser. Ich gehe vollständig auf in dieser Welt. Jedes neue Projekt genügt sich selbst. Und manchmal reicht es auch einfach auf dem selbstgebauten Balkon zu stehen und der viereckigen Sonne beim Untergehen und dem viereckigen Mond beim Aufgehen zuzusehen.

Ich habe keine Aufgabe, ich habe kein Ziel, nichts fordert mich aktiv heraus – abgesehen von fiesen Creepern: ›Sssssssssssss… BOOM!‹ – und dennoch erlebe ich einen intensiven Flow. Nur ist es diesmal lediglich ein Tunnel und ich grabe ihn selbst, bestimme die Richtung und Tiefe. Diese Erfahrung ist nicht optimal, aber sie besitzt eine Klarheit und Reinheit, die ich sonst in kaum einem anderen Spiel erlebt habe. Minecraft ermöglicht die Einübung in Reine Erfahrung, in gegenwärtiges Bewusstsein ohne Urteile. Der Flow entsteht dabei nicht durch externe Arbeits-, Regel- und Bewusstseinssysteme, in die sich das Subjekt einfügt und in deren Rahmen es spontan handeln kann. Der eigene Urteilsmoment wird nicht durch ein fremdes Urteilssystem sublimiert und damit eine künstliche Reine Erfahrung geschaffen. Ich bin spontan, baue mir meinen eigenen Flow-Zirkus, so wie ich ihn haben will. »Die Reine Erfahrung ist die unmittelbare Erfahrung des Tatsächlichen-wie-es-ist. Sie hat keine Bedeutung.« (Ebd., 36)

Bibliografie

  • Bernstein, Charles (2001) Play It Again, Pac-Man. In: Wolf, Mark J. P. (Hrsg.) The Medium of the Video Game. Austin, TX: University of Texas Press; S. 155–168.
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