Zu kaufen gibt’s »Build ’em Up — Shoot ’em Down: Körperlichkeit in digitalen Spielen« entweder direkt im vwh-Shop oder bei Amazon.de. Ich bin natürlich auch wieder mit dabei – neben sehr vielen anderen großartigen Autoren (inkl. Rudolf Inderst, Jan Fischer, Benjamin Beil, Jürgen Fritz, Stefan Höltgen, Peter Just, Iris Schäfer, Linda Breitlauch, Michael Mosel, etc.). Diesmal habe ich mich an ein kleines Manifest gewagt: »Eine Hand für ein Auge! Zur Notwendigkeit einer körperlichen Forschungsästhetik für die Analyse von Computerspielen« ist ein recht polemischer Aufruf zu mehr Spielspaß, Unsachlichkeit (im wahrsten Sinne des Wortes) und Gefühl in den – von muffigen akademischen Tugenden durchdrungenen – deutschen Game Studies. Einen kleinen Teaser davon gibt es nun hier:
Eine Hand für ein Auge!
Zur Notwendigkeit einer körperlichen Forschungsästhetik für die Analyse von Computerspielen.
von Christian Huberts
Wie schreibe ich das nun, ohne dass sich jemand gekränkt fühlt? Die akademische Beschäftigung mit Computerspielen stinkt. BIG TIME!* Wenn man – so wie ich – nahezu exklusiv durch Computerspiele sozialisiert wurde, entwickelt man einen speziellen Blick auf die Welt. Nennen wir es „gaming literacy“ (vgl. Zimmerman 2009) oder „gamer theory“ (vgl. Wark 2007). Wie auch immer, es ist schwer in der (geistes-)wissenschaftlichen Welt, wenn man – noch vor dem Alphabet – prozedurale Systeme als primäre Metapher für Welt verinnerlicht hat. Viele Jahre später steht man nämlich nervös vor n-köpfigen Auswahlgremien für lebensnotwendige Stipendien, erzählt vom „allegorithm“ (Galloway 2006, 91) und von „procedural rhetoric“ (vgl. Bogost 2007), nur um in verwirrte Gesichter zu blicken und sich fragen zu lassen: ‚Und wie wollen Sie das jetzt analysieren? Schauen Sie Leuten beim Spielen zu?‘ Nein, ich spiele natürlich selbst, duh! Wie sonst soll ich diesen Gegenstand verstehen, wenn ich ihn nicht, im wahrsten Sinne des Wortes, ‚begreife‘?
Ähnliches erlebt man auch auf wissenschaftlichen Tagungen, wenn man – als kleines Zugeständnis an die Nicht-Spieler – zur Veranschaulichung seines Vortrags einen Computerspiel-Trailer zeigt. Junger Medienwissenschaftler: ‚Ist es denn wirklich von Bedeutung, ob ich als Spieler aktiv eingreife oder nur zugucken kann?‘ Kein Kommentar. Alternder Kommunikationswissenschaftler: ‚Ich verstehe das nicht, warum wechselt bei dem Spiel alle paar Sekunden die Umgebung?‘ Oh boy, oh boy, oh boy, oh boy… Wenn selbst das simple, dramaturgische Konzept eines Trailers von erfahrenen Protagonisten der Medien- und Kommunikationswissenschaft weder verstanden, medienästhetisch durchdrungen, noch in Gedanken in einen non-linearen, computerisierten Spielverlauf transformiert werden kann, läuft etwas gründlich schief. Es scheint sich das Missverständnis etabliert zu haben, es reiche bei diesen kindischen, digitalen Spielzeugen am Seitenrand zu stehen und aus der Distanz grundsätzliche Urteile zu fällen. Zu groß ist das gebildete Ego, um sich ohne den Schild der Arroganz mitten in eine ludische Umgebung zu wagen, in der fixe Blickpunkte und lineare Erklärungsmuster nur noch einen Dreck wert sind. Etwas Neues lernen, alte Wahrnehmungsmuster auf Biegen und Brechen verteidigen oder Computerspiele doch gleich ganz als ernstzunehmenden Forschungsgegenstand disqualifizieren? Ehrlich gesagt, wäre es mir fast am liebsten, digitale Spiele würden weiterhin borniert ignoriert werden, statt dass man sie mit einem ungeeigneten Instrumentarium (miss-)analysiert. „We look at the present through a rear-view mirror. We march backwards into the future“ (Fiore/McLuhan 2001, 75).
Würden Computerspiele von der akademischen Welt weiterhin als irrelevanter Gegenstand ausgeblendet werden, blieben uns solche Allgemeinplätze zumindest erspart: „Die Interaktivität verstärkt […] die Immersion“ (Zapf 2009, 19). Aha, und was soll uns das nun sagen? Wenn „signalhafte Kommunikation“ und „realistisch wirkende Bilder“ (ebd., 19) kurzerhand zu den tragenden Säulen des Mediums erklärt werden, verkommen die Buzzwords ‚Interaktivität‘ und ‚Immersion‘ zu naiven Rauchbomben, die bequem darüber hinwegtäuschen, dass man die Botschaft des Mediums entweder nicht ganz verstanden hat oder sich nicht die Mühe macht, zu erklären, was das da eigentlich ist womit man spielt. Der gut sichtbare Inhalt des Computerspiels – die Anleihen aus Literatur und Film – lenken von der eigentlichen Ästhetik des Mediums ab. „For the ‚content‘ of a medium is like the juicy piece of meat carried by the burglar to distract the watchdog of the mind“ (McLuhan 2007, 19). Es wird Zeit, den literatur- und filmwissenschaftlichen Analytikern ihr Leckerli wegzunehmen und ihnen dabei mehr als die Augen zu öffnen. Computerspiele sind eben nicht nur etwas, das uns audio-visuelle Signale sendet, mit denen wir dann – was auch immer das bedeuten soll – durch ein Interface ‚interagieren‘, sondern prozedurale, computerisierte Systeme, an denen wir sinnlich partizipieren, mit unserem ganzen Körper.
What used to be primarily the domain of eyes and looking is now more likely that of muscles and doing, thumbs, to be sure, and what used to be the act of reading is now the act of doing, or just ‚the act‘.
Galloway 2006, 3
* Das ist natürlich Polemik. Die Mistgabeln und Fackeln bitte wieder weglegen! No hard feelings…
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Bibliografie
- Bogost, Ian (2007) Persuasive Games. The Expressive Power of Videogames. Cambridge, MA; London: The MIT Press.
- Fiore, Quentin; McLuhan, Marshall (2001) The Medium is the Massage. An Inventory of Effects. Corte Madera, CA: Gingko Press.
- Galloway, Alexander R. (2006) Gaming. Essays on Algorithmic Culture. Minneapolis; London: University of Minnesota Press.
- McLuhan, Marshall (2007) Understanding Media. The extensions of man. London; New York: Routledge.
- Wark, McKenzie (2007) Gamer Theory. Cambridge, MA; London: Harvard University Press.
- Zapf, Holger (2009) Computerspiele als Massenmedien. Simulation, Interaktivität und Unterhaltung aus medientheoretischer Perspektive. In: Bevc, Tobias; Zapf, Holger (Hrsg.) Wie wir spielen, was wir werden. Computerspiele in unserer Gesellschaft. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH; S. 11 – 25.
- Zimmerman, Eric (2009) Gaming Literacy. Game Design as a Model for Literacy in the Twenty-first Century. In: Perron, Bernard; Wolf, Mark J. P. (Hrsg.) The Video Game Theory Reader 2. New York; London: Routledge; S. 23 – 31.
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