Tagungsband: flow aus spielen. Optimale Erfahrungen durch Computerspiele.

Erst wenn die konkrete Spielerfahrung zum Thema wird, fangen Gespräche über Computerspiele an, lebendige Diskussionen zu werden.

Am 9. und 10. März 2012 fand im phæno in Wolfsburg die Tagung »flow aus_spielen« statt. Wie schon berichtet, war ich daran ebenfalls mit einer Kritik am Flow als Game-Design-Paradigma beteiligt. Seit Anfang Oktober ist nun der offizielle Tagungsband käuflich bei Amazon.de zu erwerben. Da ich beim Lektorat mitgeholfen habe, kenne ich alle Texte schon und kann ganz uneigennützig sagen, dass der Sammelband inhaltlich richtig stark geworden ist. Essays und wissenschaftliche Texte halten sich sehr schön die Waage und das Flow-Konzept wird umfangreich und aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln betrachtet. Hier ein paar weitere Informationen und einen Teaser (eine etwas ältere Vorschau gibt es hier):

Klappentext

flow aus spielen: Optimale Erfahrung durch Computerspiele
Anne-Kristin Langner, Mathias Mertens (Hg.)
flow aus spielen:
Optimale Erfahrungen durch Computerspiele.
blumenkamp Verlag, Oktober 2012, 252 Seiten,
Paperback, 30,00 Euro (D), 30,90 Euro (A)
ISBN: 978-3-942958-07-3

Erst wenn die konkrete Spielerfahrung zum Thema wird, fangen Gespräche über Computerspiele an, lebendige Diskussionen zu werden. Plötzlich wird nicht mehr Geschmack überprüft oder eine clevere Theorie konstruiert, sondern es wird Praxis analysiert und produktiv gemacht. Wenn dann noch das Stichwort ›Flow‹ eingeworfen wird, gibt es kein Halten mehr. Es ist anschlussfähig an alle persönlichen Erfahrungen, die mit Computerspielen gemacht werden, es macht Computerspiele anschlussfähig an andere Diskussionen, es macht Reden über Computerspiele relevant für den eigenen Alltag. Die Tagung ›flow aus spielen‹ war eine Fortsetzung und Erweiterung solcher Gespräche: eine intensive, von persönlicher Erfahrung und Kompetenz getragene Auseinandersetzung mit der kulturellen Relevanz von Computerspielen. Die versammelten Beiträge dieser Tagung nutzen das Flow-Konzept, um die Verbindung von Computerspielen zu verschiedenen Bereichen der Gesellschaft herzustellen – nicht immer zustimmend, oft sehr kritisch, aber immer produktiv.

Eine Kritik am Flow als Game-Design-Paradigma

Oder: Warum ich lieber gegen den Flow schwimme

von Christian Huberts

[…] Flow und Computerspiel passen ziemlich gut zusammen. So viel muss man der Theorie des ungarischen Psychologen Mihály Csíkszentmihályi (kurz: Csík) uneingeschränkt eingestehen. Die Erfahrung des Spielens erfüllt in den meisten Fällen die Kriterien seiner »optimal experience«, der Optimalen Erfahrung des Flows: »a sense that one’s skills are adequate to cope with the challenges at hand, in a goal-directed, rule-bound action system that provides clear clues as to how well one is performing.« (Csíkszentmihályi 1990, 71)

Ein großer Reiz daran, Computerspiele zu spielen, ist jenes Gefühl der absoluten Kontrolle und der Auflösung im Spiel, das Csík als Flow oder Optimale Erfahrung bezeichnet. Dieses Gefühl ist es auch, das die meisten Spieler an Computerspielen fasziniert und sie für lange Zeit am Spielen hält. Es ist also nur noch ein kleiner Schritt, Csíks Theorie als methodische Grundlage für die Erforschung der positiven, psychologischen Effekte von Computerspielen zu benutzen: »Flow is one way of understanding that pleasure which draws players to a game and keeps them there.« (Salen/Zimmerman 2004, 338) Und es ist ein ebenso kleiner Schritt, Computerspiele auf ihre Funktion als Optimale Erfahrung zu reduzieren. Schließlich scheint es auf den ersten Blick offensichtlich, dass sie sich seit ihren Anfängen an der Optimierung des Designs von Flow-Zuständen abarbeiten.

Aufgrund dieser starken, theoretischen Konvergenz sind die Game Studies schnell und dankbar auf Csíks Konzepte angesprungen. Das mag damit zusammenhängen, dass die Theorie der Optimalen Erfahrung, im gedankenverlorenen Flow zielgerichteter und regelgebundener Forschungsarbeit, sofort optimale Ergebnisse liefert. In erster Linie dreht man aber wohl einfach nicht an einer bequemen, befriedigenden und wohlklingenden Theorie herum: »The rules, goals, feedback, uncertain outcome, and other qualities of games make them fertile terrain for the flowering of a flow experience.« (Ebd., 338) Computerspiele stehen damit, hält man sich an Csík, in bester Tradition mit den meisten anderen spielerischen, sportlichen oder sonstigen Tätigkeiten, die sich auf die optimierte Produktion von – wie auch immer geartetem – Glück zu beschränken scheinen:

»[T]hey were designed to make optimal experience easier to achieve. They have rules that require the learning of skills, they set up goals, they provide feedback, they make control possible. They facilitate concentration and involvement by making the activity as distinct as possible from the so-called ›paramount reality‹ of everyday existence.«

Csíkszentmihályi 1990, 72

Darüber hinaus bietet die Flow-Theorie – mit ihrer Ausrichtung auf Glückszustände – eine Steilvorlage für Game-Designer zur Erzeugung dessen, was gemeinhin als Spielspaß bezeichnet wird. Die Bedingungen und Eigenschaften der Optimalen Erfahrung bilden eine detaillierte Blaupause des Heiligen Grals spaßigen Spieldesigns: »A well-designed game transports its players to their personal Flow Zones, delivering genuine feelings of pleasure and happiness.« (Chen 2007, 31) Game-Design ist in diesem Sinne ein Prozess der Konzentration und Herausarbeitung der Kriterien des Flows. Eine Arbeitsweise, die vor allem in Debatten um das Suchtpotenzial von Computerspielen in der Kritik steht. Selbst Csík sieht die Gefahr, dass der Flow »[…] can become addictive, at which point the self becomes captive of a certain kind of order, and is then unwilling to cope with the ambiguities of life« (Csíkszentmihályi 1990, 62). Das hält aber beispielsweise die alternate reality game-Designerin Jane McGonigal nicht davon ab, gleich die ganze, depressive Realität mithilfe von positiver Psychologie reparieren zu wollen: »Compared with games, reality is depressing. Games focus our energy, with relentless optimism, on something we’re good at and enjoy.« (McGonigal 2011, 38)

Für den Großteil der Fachpresse sind jene geordneten Elemente, die für Csík den Flow konstituieren, jedoch ein großer Segen und Grundlage für die Bewertung des sogenannten gameplays von Computerspielen. »Gamers value video games based on whether or not they provide a Flow experience.« (Chen 2007, 32) Die Wertung eines Computerspiels ist also nicht selten gleichzusetzen mit der prozentualen Wahrscheinlichkeit einer Flow-Erfahrung. Man kann nahezu jedes Gaming-Magazin am Kiosk in die Hand nehmen und liest entweder Positives zu perfekter Steuerung und befriedigendem Feedback oder aber Negatives zu unklaren Zielstellungen und frustrierendem Schwierigkeitsgrad. Die Bedingungen des Flows scheinen ebenfalls die Bedingungen für eine qualitativ hochwertige Spielerfahrung zu sein. Übersetzt in einen Prozentwert oder eine Schulnote, wird dem Spieler Orientierung auf der Suche nach dem ludischen Glück und dem Game-Designer Ordnung und Rückmeldung für seine Flow-(und damit auch Gewinn-)Optimierung geboten.

Man müsste also annehmen, der Flow sei ein funktionierendes theoretisches Konstrukt, um Computerspiele zu einem verstandenen, unterhaltsamen und immer bedeutungsvolleren Medium zu machen. Schließlich sind die vermeintlichen Bedingungen für ein gutes Spiel erkannt und die Optimierung der Spielerfahrung scheint sowohl im Sinne der Spieler wie der Spielemacher. Doch wenn sich nun alle Spiele an das Dogma der Optimalen Erfahrung halten, sehen sie dann nicht am Ende alle gleich aus und bieten uns im Großen und Ganzen identische (Flow-)Erfahrungen? Ist eine Optimale Erfahrung wirklich die einzige Erfahrung, die wir in einem Computerspiel suchen? Macht es wirklich nachhaltig glücklich, gedanken- und bewusstlos durch den Tunnel des Flows zu düsen? Und wie lässt sich die vermeintliche Komplexität der Optimalen Erfahrung damit unter einen Hut bringen, dass sich der Flow mitunter schon mit den eintönigsten und anspruchslosesten Spielmechaniken – wie etwa in Ian Bogosts parodistischem, aber dennoch erfolgreichem Social Game Cow Clicker (2010) – erzeugen lässt?

Einige Fragen an den Flow bleiben also offen. Von den besorgten Hinweisen auf die Gefahr der Computerspielsucht einmal abgesehen, bleibt die Dominanz der Optimalen Erfahrung aber weitestgehend unhinterfragt. Computerspiele sollten jedoch nicht auf reine Spaßmaschinen reduziert werden. Als bedeutender Teil der Kultur spiegeln sie mehr als nur unsere Vergnügungssucht wider. Sie sind »[n]icht nur ein Spiel, sondern ein Teil von uns« (Huberts 2010, 14). Und Computerspiele widersetzen sich nachhaltig – zumindest mit genügend »gaming literacy« (Zimmerman 2009, 23) in der Hinterhand – der Reduktion auf ein schlichtes »goal-directed, rule-bound action system that provides clear clues as to how well one is performing« (Csíkszentmihályi 1990, 71). Sie sind viel mehr als optimal.

»[D]er ›Witz‹ des Spiels […] widerstrebt jeder Analyse, jeder logischen Interpretation. […] Im Spiel haben wir es mit einer für jedermann ohne weiteres erkennbaren, unbedingt primären Lebenskategorie zu tun, mit einer Ganzheit, wenn es je etwas gibt, was diesen Namen verdient. Wir müssen uns Mühe geben, es in seiner Ganzheit zu betrachten und zu werten.«

Huizinga 2004, 11

[…]

Bibliografie:

  • Chen, Jenovah (2007) Flow in Games (and Everything Else). In: Communications of the ACM. Band 50; Heft 4; S. 31–34.
  • Csíkszentmihályi, Mihály (1990) Flow. The Psychology of Optimal Experience. New York: HarperCollins.
  • Huberts, Christian (2010) Raumtemperatur. Marshall McLuhans Kategorien »heiß« und »kalt« im Computerspiel. Göttingen: blumenkamp verlag.
  • McGonigal, Jane (2011) Reality is Broken. Why Games Make Us Better and How They Can Change the World. London: Jonathan Cape.
  • Salen, Katie; Zimmerman, Eric (Hrsg.) (2004) Rules of Play. Game Design Fundamentals. Cambridge, MA; London: The MIT Press.
  • Zimmerman, Eric (2009) Gaming Literacy. Game Design as a Model for Literacy in the Twenty-first Century. In: Perron, Bernard; Wolf, Mark J. P. (Hrsg.) The Video Game Theory Reader 2. New York; London: Routledge; S. 23–31.