Ich muss mich ebenfalls outen: Wenn ich Pixel sehe, wird mir ganz warm um’s Herz. Das gleiche gilt für klassische Computertechnologie, Chiptunes und die angenehme „Tortur“ Soundkarten-Einstellungen von MS-DOS-Spielen korrekt zu konfigurieren. Und selbst das durchwachsenste zeitgenössische Spiel erhält Absolution für ein gelungenes Retro-Zitat. Die Vergangenheit des Computerspiels ist ein gemütlicher Rückzugsort, gefüllt mit schönen Kindheitserinnerungen und frei von modernen Gewalt-, Komplexitäts- und Grafik-Orgien. Früher war eben alles besser. Zumindest im verklärten Rückblick, der feinsäuberlich alles Negative ausblendet. Warum wir so gerne Erinnerungen an die „gute alte Zeit“ des Mediums konstruieren und wie Computerspiele den Hang der Spieler zur Nostalgie aufgreifen, darüber gibt Playing Yesterday: Mediennostalgie im Computerspiel (2012) von Sebastian Felzmann nun kompetente Auskunft.
Zunächst führt der Autor kompakt in die Gedächtnistheorien von Aleida und Jan Assmann sowie von Maurice Halbwachs ein. Es folgen Grundlagen zur Wortgeschichte, den Bedingungen und der Funktionsweise von Nostalgie, dem Gefühl, »dass die Gegenwart in irgendeiner Art und Weise unzulänglich oder mangelbehaftet ist« (S. 25). Der verklärende Blick in die Vergangenheit schafft dabei nicht nur Orientierung im stetig schneller und komplexer werdenden Alltag, sondern stiftet ebenfalls soziale Gruppenidentität. Weiter konkretisiert durch den Begriff »Mediennostalgie«, wird das Phänomen von Sebastian Felzmann als »Sehnsucht nach der spezifischen Verfasstheit eines Mediums zu einem spezifischen Zeitpunkt« (S. 28) verstanden. Illustriert wird das zunächst anhand von populären Filmbeispielen, wie etwa Pleasantville (1998), Sky Captain and the World of Tomorrow (2004) sowie dem Grindhouse-Double-Feature Planet Terror und Death Proof (1997). Das Buch endet mit der ausführlichen Übertragung dieser theoretischen Basis auf das Computerspiel. Dabei wird glücklicherweise nicht – wie in den deutschsprachigen Game Studies leider noch oft üblich – nur die narrative und audiovisuelle Ebene betrachtet, sondern auch der (medien-)nostalgische Umgang mit Spielregeln und Gameplay-Strukturen thematisiert. Mit gut ausgewählten Beispielen von Pong (1972) bis Crysis (2007) gelingt Felzmann schließlich ein differenzierter erster Überblick über »nostalgische Mechanismen« und »mediennostalgische Ausprägungen« im Medium Computerspiel sowie nötige »Abgrenzungen […] zum bereits etablierten [Medium] des Films« (S. 84).
Playing Yesterday ist jedem zu empfehlen, der/die sich für Retrogaming und Techniknostalgie interessiert. Dass es sich „nur“ um eine aufgebohrte Masterarbeit handelt, merkt man dem Buch – abgesehen vom relativ geringen Umfang – nicht an. Sebastian Felzmann schreibt gut verständlich, findet stets nachvollziehbare Beispiele zur Illustration seiner Thesen und weiß durch kleine Anekdoten und Querverweise weiterführendes Interesse für das Thema zu wecken. Eine willkommene, progressive Bereicherung für die doch selbst noch sehr „nostalgische“ Auseinandersetzung mit Computerspielen in Deutschland. Wenn man etwas an Playing Yesterday kritisieren möchte, dann, dass das Buch an dem Punkt endet, wo es eigentlich erst richtig losgehen sollte, aber das spricht im Prinzip auch nur dafür, dass Felzmann an einer wichtigen Facette von Computerspielkultur dran ist. Wo man das „Gestern“ „spielt“, da ist Relevanz für die Gegenwart offensichtlich!
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