Digital Games: A Love Story. Zum Verhältnis von Literatur und Computerspiel. (Teaser)

Am 26. Juli 2012 erscheint die 33. Ausgabe der »BELLA triste«, einer feinen Zeitschrift für junge Literatur. Und – Überraschung! – ich bin in der Rubrik »LUX« mit einem schönen Essay zur schwierigen Ehe von Literatur und Computerspiel mit dabei. Hier ein kleiner Teaser.

BELLA triste #33
BELLA triste #33
Zeitschrift für junge Literatur
ISSN 1618-1727
Preis (D) 5,35 €

Es beginnt – wie so vieles – mit einer Liebesgeschichte. William und Patricia Crowther lernen sich irgendwann in den 1960ern am MIT kennen, heiraten und bekommen zwei Kinder. Will programmiert Routing-Protokolle für das ARPANET (Advanced Research Projects Agency Network), den militärisch-akademischen Vorläufer des Internets. Pat erforscht Höhlensysteme und entdeckt 1972 auf einer Expedition die Verbindung zwischen der Mammoth Cave und dem Flint Ridge Cave System in Kentucky. 1973 kommt es zur Scheidung. Pat heiratet erneut; ihren Expeditionsleiter. Will verarbeitet die Trennung auf nerdige Weise: Er kombiniert die Routing-Probleme des ARPANET mit den nostalgischen Erinnerungen an die gemeinsamen Mammoth Cave-Ausflüge und einer Prise Dungeons & Dragons. Es ist – wortwörtlich – die ›Ankunft‹ des ersten Text-Adventures: ADVENT (1976). Der Computer flirtet mit Literatur.

»This is a path winding through a dimly lit forest.«

Durch die Knotenpunkte eines Computer-Netzwerkes zu navigieren, ist der Wegfindung in einem Höhlensystem recht ähnlich. Es gibt große Räume – Knotenpunkte oder ›Nodes‹ – und es gibt verbindende Gänge – Verknüpfungen oder ›Links‹. Die aus Fantasy-Literatur und Pen&Paper-Rollenspielen entliehenen Dungeons früher Text-Adventures wie Zork (1980) bilden eine geeignete Metapher für die Logik von Netzsystemen. Zwischen Nodes zu navigieren und dann Datensätze mit Hilfe kryptischer Befehle und alphanumerischer Adressen zu verlinken, ist kein anspruchsloses Unterfangen. Aber ›go north‹ und dann ›use key with door‹ geht jedem, der halbwegs alphabetisiert ist, leicht von der Hand auf die Tastatur. Literatur dient hier, so stellt der Medienwissenschaftler Claus Pias fest, der Produktion von »Übergangswahrscheinlichkeit«. Die Beschreibung eines Höhlensystems und die Queste eines Helden legt sich wie eine Folie über die abstrakten Datenbankstrukturen des Computers und ermöglicht Orientierung. Je bekannter, je zwingender das literarische Klischee, desto besser. Aus Höhlenwänden ist kein Entkommen und seit Rotkäppchen verlässt niemand mehr den sicheren Pfad. Literatur ist Interface. Literatur ist Kontrollinstanz. Zweckehe. […] (Zum Schluss noch ein paar Links zu bemerkenswerten literarischen Computerspielen:)

  • »Today I Die« ist ein kurzes spielbares Gedicht
  • »Pac-Txt« verdeutlicht sehr kompakt den Mangel an Prozeduralität in Literatur
  • »Katawa Shoujo« ist eine Visual Novel über körperliche Behinderungen und Beziehungen an einer japanischen Sonderschule
  • »don’t take it personally, babe, it just ain’t your story« ist eine clevere Visual Novel über Privatsphäre in Zeiten sozialer Netzwerke
  • »Digital: A Love Story« ist ein sehr empfehlenswertes Text-Adventure über die Anfänge des Internets, künstliche Intelligenz und Liebe mit shake­s­pea­rischem Wumms