Gegner, der:

Im Computerspiel sollte ein guter Gegner dem Spieler mehr als nur Variablen entgegensetzen. Er muss ihn berühren, seine Persönlichkeit spiegeln und bedeutungsvoll mit dem Leben verknüpft sein. Nur so ist ein Sieg mehr als ein aktivierter Schaltkreis.

Ein Schatten stellt sich zum Kampf. Er trägt eine Maske mit der Nummer XI auf der Stirn. Trotzdem erkenne ich ihn. Die gelbe Badehose, die schweren Muskeln und der Oberlippenbart lassen keinen Zweifel zu: Es ist Hulk Hogan. Der Held meiner Kindheit steht mir als Gegner gegenüber. Was wie ein Scherz japanischer Spieldesigner scheint, macht Sinn. Hulk Hogan war einer der Guten. Er war stark, ein „Real American“ und hat mir beigebracht, niemals Drogen zu nehmen. Und dann sitzt er, Anfang der 90er, in einem Gerichtssaal. Anzug, statt Badehose. Er gesteht, während seiner Karriere regelmäßig Steroide zur Leistungssteigerung verwendet zu haben. Fast 14 Jahre lang. Er dachte es wäre legal. Alles auf Rezept. Kein Anzeichen von Selbsterkenntnis. Mein Held ist gefallen. Sein Selbstbewusstsein und seine Muskelpakete hat er sich durch Drogen erschummelt. Erst Mitte der 90er kehrt er, als Hollywood Hogan und mit schwarzer Hose, in den Ring zurück. Nun ein Heel, ein Bösewicht, der das Publikum beschimpft und regelmäßig Tiefschläge landet. Er ist ein Schatten. Ein Gegner. Und heute kämpft er gegen mich, in PERSONA 3. Die Nummer XI auf der Maske des Hulksters deutet auf eine Karte im Tarot hin. Wie jedem Charakter des Spiels, ist auch ihm ein Arkana zugewiesen. Seine Karte ist „Die Kraft“. Sie zeigt eine Frau, die einen Löwen bändigt und symbolisiert Stärke, Selbstvertrauen und gute körperliche und geistige Konstitution. Doch genauso wie im Ring ist Hogan auch in PERSONA 3 ein Heel. Ein verkehrtes Schattenbild. Sein Arkana steht auf dem Kopf. Im Tarot dreht sich so die Bedeutung einer Karte um. Stärke wird zu Schwäche und Selbstvertrauen zu Unsicherheit. Das Gleichgewicht von Willensstärke (Frau) und Muskelkraft (Löwe) ist verloren gegangen. Mein Kampf gegen den Hulkster ist nicht nur ein Kampf gegen einen Haufen von Variablen mit austauschbarer grafischer Oberfläche. PERSONA 3 verknüpft auf großartige Weise das Tarot und unsere menschlichen Schwächen mit seinem Gegner-Design. Ich muss hinter die Maske von Hulk Hogan blicken, muss die Symbolik des Tarot deuten können, um seine Schwäche zu erkennen. Sowohl im Spiel, wie im richtigen Leben. Körperliche Stärke allein reicht nicht aus. Ich entfessele meine schwächste Persona „Angel“. Ihr Arkana ist „Die Gerechtigkeit“. Das Wissen darüber, was falsch und was richtig ist. Die Nummer VIII im Tarot. Eine Karte, die in vielen Decks ihre Position mit „Der Kraft“ tauscht. Mein trügerisches Idol geht durch einen magischen Windstoß zu Boden. Hogans virtuelles Alter Ego ist an dem selben Irrtum gescheitert, wie sein Ego in der Realität. „The Arcana is the means by which all is revealed“. Der Kampf ist gewonnen. Er, der Kämpfer, ist schwach geworden. Ich, sein Fan aus Kindertagen, habe hingegen Willenskraft und Selbstbewusstsein erlangt. Ein Schritt näher zum XXIten und letzten Arkana des Tarot. „Die Welt“, die vollständige Selbsterkenntnis und das Ende von PERSONA 3. Doch bis dahin lauern noch viele Schatten auf mich.

In dem japanischen Rollenspiel PERSONA 3 müssen nicht nur Monster bekämpft, sondern auch ein Schul- und Sozialleben gemeistert werden. Darüber hinaus beherbergt es dutzende populäre Zitate und mystische Versatzstücke, besonders aus dem Tarot. Weitere Eindrücke findest du hier.

(Ursprünglich erschienen auf subpool.de)

1 Kommentar