WASD – Bookazine für Gameskultur #17

WASD #17: Krone der Schöpfung

Es gibt keine Natur im Computerspiel. Nur blühende Kulturlandschaften.

Computerspiele werden von Menschen gemacht. Und sie werden fast immer für Menschen gemacht. Urwüchsige, unwirtliche und planlose Natur sucht man hier vergebens. Eine Bestandsaufnahme virtueller Kulturlandschaften. Ein Text aus dem WASD – Bookazine für Gameskultur Nr. 17.

Natur beschreibt, in einer ihrer vulgärsten Definition, alles, was nicht vom Menschen geschaffen oder verändert wurde. Spiele sind hier jedoch, folgt man der Kulturanthropologie, ein eigentümlicher Sonderfall. Wie viele andere Tiere auch, spielen Menschen von Natur aus und gleichzeitig ist ihr Spiel der Beginn jeglicher menschlicher Kultur. Nicht völlig aufzulösen im triebhaften Überlebenstraining für den Ernstfall, sondern eben auch selbstgenügsames und oft einfach nutzloses Rumspielen an der Umwelt. Wir sind der »Homo Ludens«, wie Johan Huizinga sagt, der spielende Mensch.

Kultur hingegen ist, in ihrer sehr wörtlich genommenen Bedeutung, alles, was vom Menschen beackert wird oder wurde. Kultur ist kultivierte Natur. Auch Spiele bewirtschaften in dieser Weise die natürliche Welt. Sie ziehen zeitliche und räumliche Grenzen, schaffen Kategorien und definieren Zustände. Spieldauer. Spielfeld. Ball. Tor. Tor! Und entscheidend ist hierbei, dass der Mensch die Natur nicht willkürlich verändert, sondern den eigenen Ansprüchen gemäß. Kultur ist nicht nur menschengemacht, sondern auch stets für Menschen gemacht. Computerspiele sind hier im Kern kaum anders.

Anthropisches Prinzip

Jede Spielwelt am Computer ist für die Spielenden geschaffen. Ja, es gibt auch Games für Katzen oder Schweine, aber davon abgesehen: was Menschen nicht spielen können, ist kein Spiel. So mag ein Planet in No Man’s Sky zwar von schweren Stürmen heimgesucht werden und keine Flora oder Fauna beherbergen, aber niemals wird der Avatar Bedingungen ausgesetzt, in denen er schlicht nicht existieren könnte. 18 Trillion Welten und alle unterstützen die Grundbedürfnisse des Homo Ludens. Und nicht nur das: jeder Planet ist ein Acker, auf dem es verwertbare Ressourcen im Überfluss gibt.

In der Kosmologie wird vom so genannten »Anthropischen Prinzip« gesprochen. Die beliebte Tautologie hat zum Kern, dass der Kosmos so ist wie er ist, weil er nicht von Menschen wahrgenommen werden könnte, wenn er anders wäre. Eine kleine Abweichung in den Naturgesetzen und kein Mensch könnte existieren, um den alternativen Kosmos zu bezeugen. Kreationisten interpretieren in diese nur scheinbar zielgerichtete Entwicklung gerne göttliche Fügung hinein. Zumindest für das Anthropische Prinzip des Computerspiels muss man ihnen recht geben. Diese Schöpfungen laufen ganz nach Plan.

Damit kommunizieren die Welten von No Man’s Sky und vieler anderer Games ein eher alttestamentarisches Selbstverständnis. Die Frage, ob diese digitalen Gärten Eden ein eigenständiges, natürliches Dasein besitzen, stellt sich schlicht nicht. Spielwelten sind von vornherein Ackerfläche, erschaffen zum Nutzen und zur Nutzbarmachung durch die Spielenden. Selbst in einem Red Dead Redemption 2 mag der Wald Natürlichkeit ausstrahlen, existiert primär jedoch als Ressourcen-Spender und Bühne für die Spielenden. In Zeiten des menschengemachten Klimawandels, bleibt diese Erde verlässlich Untertan.

Götter in der Maschine

Im Grunde genommen ist also jedes Computerspiel ein God Game, nicht nur jene Strategiespiele, die in isometrischer Perspektive auf die Schöpfung blicken. Alle Agency liegt bei den Spielenden. Was auch immer in den Karten, den offenen Welten oder den Level-Architekturen an Natur inszeniert wird, besitzt keine eigene Wirkmächtigkeit, sondern ist Hintergrundkulisse für die Allmacht des Homo Ludens. Natur bleibt brav. Virus-Pandemien sind eingehegt als Rahmenhandlung oder Charakter-Skill. Auch der Klimawandel ist hier maximal Hindernis, selten aber eskalierende Katastrophe mit unklarem Ausgang.

Ein entsprechender DLC für Civilization 6 hat nur ein weiteres, strategisches Puzzle geschaffen, an dem die Spielenden ihre Genialität beweisen können. Der Anthropozän von Gathering Storms ist eine frische Mechanik, die sich wie jedes andere Problem des Strategiespiels lösen lässt: durch technischen Fortschritt. Flutbarriere contra Meeresspiegel. Nur mit einer Zivilisation, den Māori, lässt sich überhaupt so etwas wie Nichteinmischung in Natur praktizieren. Wie könnte wohl ein ganzes Spiel denn aussehen, bei dem nicht nur ein Hexfeld unkultiviert bleiben darf, sondern gleich ein Ökosystem?

Intelligent (Game) Design

Natur stellt Game Design vor ein Dilemma. Wie gesagt: was Menschen nicht spielen können, ist kein Spiel. Aber Natur ist nun einmal geprägt von Emergenzen, die aus sich selbst heraus komplexe Muster erzeugen, nicht jedoch durch gezielte Agency. Ein intelligenter Designer hätte schlicht keinen Platz in einem Spiel, das sich der natürlichen Selektion verschrieben hat. Den Life-Sim-Veteranen Will Wright hat das nicht gestoppt. Seine Simulationen SimLife und SimEarth geben sich redlich Mühe, die Natur einfach machen zu lassen, aber am Ende haben auch diese Ökosysteme einen Bürgermeister.

Sehr deutlich wird das ebenso im ambitionierten Genremix Spore. Aggressiv als ideale Einführung in die Evolutionsbiologie vermarktet, sprechen die von den Spielenden kreierten Penis-Zivilisationen und aufrecht gehenden Urheberrechtsverletzungen eine andere Sprache. Kreationisten können jubeln über den Anschauungsunterricht für die Theorie des Intelligent Design. Computerspiele offenbaren hier scheinbar einen ähnlichen Narzissmus, wie sie Religion zuweilen an den Tag legt. Nicht die Spielenden ordnen sich einer chaotischen Natur unter, sondern die Natur stets der auserwählten Menschheit.

Die prozedurale Generierung von Content kann dieses Problem nicht befriedigend lösen. Spätestens nach einigen Dutzend von 18 Trillion Planeten in No Man’s Sky fällt auf, dass es zwar auch 18 Trillion verschiedene Bäume geben mag, diese aber alle bloße Variation eines sehr klar definierten Muster-Baums sind. Die Oberflächen ändern sich, aber die Funktionalität der Dinge bleibt gleich und ganz auf Gameplay-Bedürfnisse ausgerichtet. Der unverrückbare Code sieht den Kosmos als Kulturlandschaft für den Homo Ludens vor. Wäre es anders, müsste Gott wohl Morddrohungen auf Twitter fürchten.

Sein lassen

Es gibt Games, die es wagen, den Kränkungen der Menschheit eine weitere hinzuzufügen und die Natur zumindest kurzfristig sein zu lassen. Die bizarre Jenseits-Garten-Simulation The Void des russischen Studios Ice-Pick Lodge kennt sogar eine Art Klimawandel. Um der Vorhölle zu entkommen, müssen die Spielenden Farbe kultivieren. Die Ressource ist jedoch endlich und je mehr in das ökologische Gleichgewicht eingegriffen wird, desto mehr gerät es aus dem Lot. Da The Void nicht transparent kommuniziert, endet eine typische Partie im langsamen dahinsiechen in einer gleichgültigen, zerstörten Natur.

Als komplexe Regelsysteme sind Computerspiele durchaus in der Lage, naturwüchsige Ereignisse zu schaffen. Beim so genannten »Corrupted Blood incident« von 2005 in World of Warcraft sorgte ein ansteckender und potentiell tödlicher Zauber für eine Virus-Pandemie, die sogar zum Gegenstand der Epidemiologie wurde. Durch einen Zwischenwirt – Haustiere – entkam das »Corrupted Blood« damals ungeplant der räumlichen Beschränkung auf einen Dungeon. In den Randgebieten der zufallsgenerierten Welt von Minecraft spielen derweil Naturgesetze verrückt und machen die Existenz der Spielenden fast unmöglich.

Computerspiele sind Kulturlandschaften. Sie in etwas Naturähnliches zu verwandeln, bedeutet immer Kontrollverlust bis hin zur völligen Auflösung des Spiels als Spiel. Neben dieser grundsätzlichen Einschränkung bleibt das Potential annäherungsweise natürlicher Räume weitgehend ungenutzt oder Bug statt Feature. Keine nutzlosen Urwald-Reservate und freidrehenden Baum-Algorithmen. Auf die Frage, welchen Platz der Mensch in der Natur einnimmt, bieten Games so meist nur narzisstische Antworten: die Krone der Schöpfung. Im Anthropozän würde ein wenig mehr Demut wohl auch Games gut zu Gesicht stehen.

Christian Huberts hätte vielleicht besser ein mächtiger™ Naturwissenschaftler werden sollen. Auf www.schauanblog.de schreibt er stattdessen über Kultur und Computerspiele.