Gamescom congress
Im Auftrag des Internationalen Literaturfestivals Berlin und durch Empfehlung der Stiftung Digitale Spielkultur war ich am 14. August 2014 auf dem Gamescom congress in Köln. Zusammen mit Autor und Journalist Jan Drees sowie Moderator und WASD-Chefredakteur Christian Schiffer habe ich im Panel »Schreiben mit / über / durch Computerspiele« über die Zusammenhänge von Literatur und Games diskutiert:
Führen Rechnen und Programmieren zu neuen literarischen Formen, die vor einigen Jahren noch undenkbar schienen? Wie schreibt man literarisch über Computerspiele? Warum überhaupt über Computerspiele schreiben, wenn man sie doch spielen kann? Warum interessieren sich die Mainstream-Medien so wenig für Computerspiele?
Anschließend ging es im Kölner Raum 13 mit einem Gespräch zum Thema »Blockbuster, Indieentwickler und virtuelle Währungen – welche Rolle spielt das Geld in Sachen Computerspiele?« weiter. Zusammen mit Christian Schiffer, Robert Glashüttner und Jan Bojaryn habe ich in angenehmer Atmosphäre über hungrige Ponys, Werbespiele aus den 1990ern sowie die unbedingte Notwendigkeit von Schubladen in Raumschiff-Cockpits geplaudert:
In manchen Computerspielen muss man stundenlang nach virtuellem Gold graben. In anderen fährt man Autos, die man sich im Leben nie leisten könnte. Manche Spiele haben Millionenetats, andere werden unter prekären Verhältnissen entwickelt, beschrieben, erforscht. Entlang der neuen Ausgabe der Zeitschrift »WASD. Bookazine für Gameskultur« werden Geschichten über das Verhältnis von Geld und Computerspielen erzählt.
Und natürlich war ich ebenfalls ein wenig in den Hallen der Gamescom unterwegs. Hier ein paar – nicht ganz ernst gemeinte – Eindrücke vom Messetrubel:
Virtual Reality
Auf meiner Messetour bin ich auch am komplett überfüllten Stand von Oculus VR vorbeigelaufen. Da ich die Oculus Rift schon vorher auf dem A MAZE. Berlin ausprobieren konnte, habe ich mir das stundenlange Anstehen allerdings gespart und stattdessen Max von Malotki für ein Radiofeature zu virtuellen Realitäten Rede und Antwort gestanden. Das Feature lief bei Breitband im Deutschlandradio Kultur und lässt sich hier nachhören bzw. hier downloaden:
Bisher gibt es von VR-Brillen wie der Oculus Rift nur Prototypen und dennoch ist von einem “Paradigmenwechsel” die Rede. Welches Potential steckt in dem Gerät? Ist es einfach ein neues Spielzeug für Gamer oder kann es noch mehr?
Im Februar hat mich bereits Michael Schulze von Glaßer im Freitag zur Zukunft von VR-Technologie befragt, aber diesmal wurde ich unter anderem mit der wunderbaren Aussage zitiert, dass das Lesen von Romanen zu Blähungen führt:
New Level
Im September 2014 ist außerdem die Anthologie »New Level: Computerspiele und Literatur« im Metrolit Verlag erschienen:
Wladimir Kaminer, Saša Stanišić, Aboud Saeed, Jan Drees, Carlos Labbé, Andri Snær Magnason, Jaroslav Rudiš, Ann Cotten oder Monika Rinck: Das sind nur einige Namen der an diesem außergewöhnlichen Projekt beteiligten Autorinnen und Autoren. Initiiert von Thomas Böhm und gefördert vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung, schreiben sie Entwürfe für Computerspiele – ohne Rücksicht darauf, ob diese Spiele heute technisch realisierbar sind oder nicht. So entstehen einerseits literarische Computerspiele als erhellende Herausforderung für die Computerspiel-Welt, andererseits treten sie ein in einen Dialog mit führenden Wissenschaftlern und Programmierern und gehen den Fragen nach: Wie entstehen Computerspiele? Wie sehr ähneln oder unterscheiden sich beispielsweise die erzählerischen Mittel oder Plot und Dramaturgie bei der Stoffentwicklung von erfolgreichen Romanen und Computerspielen? Lassen sich komplexe literarische Inhalte in ein Spiel überführen, oder ist dies vor allem Genrestoffen vorbehalten?
Ich bin mit einem Essay zum »Lesen« von Computerspielen dabei und kritisiere eine Haltung gegenüber Computerspielen, die sich in passiver Rezeption erschöpft. Auf Jan Drees Blog »Lesen mit Links« lässt sich der Text kostenlos spielen:
Wenn man Computerspiele unbedingt mit früheren Kulturformen vergleichen muss, dann also weniger mit Literatur und mehr mit Konzeptkunst, Performance, Musik oder Architektur. Es geht in digitalen Spielen um Notationen und Aufführungen, Rhythmen und Rückkopplungen, Akustik und Atmosphäre. Man liest sie wie einen Tanz, wie eine Geisterbahn, wie ein Echo oder eine Stimmungslage. Und die Lektüre ist immer zugleich Ko-Lektüre, ein wechsel- und gegenseitiges Auslesen von Spielenden und Spiel. Das heißt nicht, dass digitale Spiele nichts mit Romanen gemeinsam haben, sondern nur, dass Literatur lediglich ein mögliches Element unter vielen anderen ist.
Wer jetzt noch nicht überzeugt ist, kann eine weitere, großartige Leseprobe von Christian Schiffers Essay sowie das Inhaltsverzeichnis [Edit: leider beides nicht mehr abrufbar] durchstöbern und dann direkt auf Amazon.de oder zum regionalen Buchhändler des Vertrauens eilen. Die Welt ist in ihrer Buchbesprechung auf jeden Fall recht angetan von dem Band und zitiert mich fleißig:
Mit der Zusammenstellung gelingt Böhm so ein Einstieg in das durchaus mit Spannungen behaftete Debattenfeld der „Narratologie vs. Ludologie“. Gemeint ist damit der jeweils paradigmatische Zugriff auf das Spiel, bei dem entweder die Narratologie, das Spiel als Erzählung, oder die Ludologie, das Spiel als Simulation, im Vordergrund steht. Der Kulturwissenschaftler Christian Huberts schreibt dazu: „Dennoch wird nach wie vor der Literatur in Spielen weitaus mehr Bedeutung zugemessen als den Spielen selbst – so zumindest im öffentlichen Diskurs.“
Internationales Literaturfestival Berlin
Die Anthologie ist nicht im luftleeren Raum erschienen, sondern Bestandteil des »New Level«-Programms des Internationalen Literaturfestivals Berlin. In diesem Rahmen habe ich unter anderem mit dem tschechischen Autor Jaroslav Rudiš über die Darstellung von Geschichte in Computerspielen gesprochen (ein Thema, das mich in der Vergangenheit bereits öfter umgetrieben hat):
Jaroslav Rudiš’ Spielentwurf »Operation Prag« basiert auf dem Attentat von 1942 an Reinhard Heydrich, dem Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, und stellt die Attentäter als Protagonisten des Widerstands gegen das NS-Regime in den Mittelpunkt. Das Spiel orientiert sich zwar an der realen Mission und seinen historischen Abläufen, doch der genaue Tathergang, die Charaktere und ihre Strategien können hier durch die Spieler beeinflusst werden. Im Gespräch mit dem Kultur- und Medienwissenschaftler Christian Huberts erläutert Rudiš sein Spielkonzept und Rollenspiele als Zugang zu historischen Ereignissen.
Darüber hinaus war ich neben Prof. Dr. Winfred Kaminski von der Fachhochschule Köln als Experte zu Gast bei der »Wissensshow zur Digitalen Gesellschaft« zum Thema »Wird die Welt zum Spiel? Das Game als neues Leitmedium«, konzipiert und moderiert von Tobias Hülswitt:
Computerspiele üben ein in die digitalisierte Welt, ermöglichen neue Formen der Wissensvermittlung und des Erlangens gefragter Fähigkeiten. Diese Show, eine Kooperation mit dem BMBF, dem Wissenschaftsjahr und der Helmholtz-Gemeinschaft, fragt: Sind Computerspiele bereits ein voll ausgereiftes künstlerisches Medium geworden? Wer kann die Welt von heute besser erklären, der Literatur- oder der Game-Wissenschaftler? In Film-Einspielern werden Ausschnitte aus Interviews mit dem Literatur- und Game-Wissenschaftler Gundolf S. Freyermuth, der Gamedesignerin Linda Breitlauch, der Soziologin Sabina Misoch und dem Soziologen Dirk Helbing, dem Künstliche-Intelligenz-Forscher Wolfgang Wahlster, dem Gamer Matthias Vogt, dem Hirnforscher Ad Aertsen und dem Medienethiker Klaus Wiegerling gezeigt. Dazu: Zwei Experten auf der Bühne, Video-Einspieler und SMS auf der Leinwand. Per Laserpointer stimmt das Publikum ab, wie es weitergeht.
Laserpointer gab es leider doch nicht, da die Sorge bestand, die Experten könnten dadurch erblinden. Als Spieler von etlichen Ego-Shootern habe ich aber auch ganz andere Sorgen, wenn ein roter Punkt auf meiner Brust auftaucht…
Zwischen|Welten
Seit August 2014 ist der Sammelband »Zwischen|Welten: Atmosphären im Computerspiel« nun schon erschienen und so langsam trudelt das erste Feedback ein. Jan Drees beschreibt das Buch als »uneingeschränkt empfehlenswert« und in seinem Buchtipp auf Video Game Tourism bezeichnet Rudolf Inderst meinen Mitherausgeber Sebastian Standke gar als »Playgrrll-Fantasie« sowie mich als »mächtigsten« Kulturwissenschaftler – »tolle Arbeit, Jungs!«. Unsere Autor*Innen Nina Grünberger, Stefan Höltgen sowie Sabine Schollas und Felix Raczkowski rühren derweil auf ihren jeweiligen Online-Auftritten kräftig die Werbetrommel. Und auf Pixeldiskurs – der Publikationsplattform des studentischen Game Studies-Kolloquiums der Philipps-Universität Marburg – gibt es sogar eine erste Rezension:
Insgesamt bietet der Sammelband einen sehr guten Überblick über den Stand der Forschung und weiß mit gut ausgearbeiteten Texten zu überzeugen. […] Er zeigt ganz unterschiedliche Wege auf, Atmosphären im Computerspiel zu betrachten und beeindruckt mit frischen Ideen und neuen Blickwinkeln auf das Medium Computerspiel.
Weiterhin können Anfragen für Rezensionsexemplare und Interviews sehr gerne an atmosphaeren@gmail.com [Edit: nicht mehr aktiv] geschickt werden!
Coming soon…
Winter is coming! Und ist vollgepackt mit neuen Herausforderungen und Aufträgen. Ab dem Wintersemester 2014/2015 bin ich an der GA Hochschule der digitalen Gesellschaft als freiberuflicher Dozent unterwegs und unterrichte Game-Design- und Digital-Art-Studenten im wissenschaftlichen Arbeiten, den Game Studies, der Dramaturgie von Computerspielen sowie in Spieltheorie und -technologie in verschiedenen Kontexten. Am 24. Oktober 2014 diskutiere ich auf einem Panel des Branchentreffens der freien darstellenden Künste mit Theaterschaffenden über »Nur im Spiel ist der Mensch frei?«. Auf dem 9. Festival »Politik im Freien Theater« in Freiburg begleite ich am 22. November 2014 einen Game-Design-Workshop mit einem Impulsvortrag zum Thema »Freiheit und Überwachung in Games«. Und zu guter Letzt bin ich am 12. Dezember 2014 in Wien, um in der SUBOTRON arcademy einen Vortrag mit dem Titel »„Do not want. Just be.“ Atmosphären im Computerspiel« zu halten. Winter kann coming!