WASD #3: Ein Ja, ein Nein, eine gerade Linie, ein Ziel… (Teaser)

Computerspiele sind Utopien, ideale Nicht-Orte in denen Fairness, Ordnung und Überfluss vorherrschen. Der eigentliche Skandal ist und bleibt die Realität.

Pünktlich zum vorläufigen Ende der akademischen Karriere – durch das Ausbleiben der versprochenen DFG-Finanzierung – erscheint mein neuer Text über den großen Skandal der Realität im WASD-Magazin #3 (hier eine Leseprobe des Bookzines [Edit: leider nicht mehr verfügbar]). Nachdem ich in der zweiten Ausgabe über »(Spiel-)Weltanschauungen« geschrieben habe, geht es diesmal um richtig schlechte Adventures, einen glücklichen Sisyphus und den berüchtigten Gummiband-Effekt als Garant für gesellschaftliche Teilhabe. Ein Skandal, wenn man da nicht zugreift! Ein skandalös kurzer Teaser aus dem Text:

Computerspiele sind Utopien, ideale Nicht-Orte in denen Fairness, Ordnung und Überfluss vorherrschen. Der eigentliche Skandal ist und bleibt die Realität.

Wenn ich mit Bürokratie in Berührung komme, muss ich an The Secret of Monkey Island denken. Nicht, weil das Adventure inhaltlich viel damit zu tun hätte, sondern weil das Genre immer schon Bürokratie war. In Multiple-Choice-Dialogen und Item-Rätseln füllen wir Formulare aus und transportieren (Daten-)Päckchen von Adresse A nach Adresse B, wie der Medienwissenschaftler Claus Pias anmerkt. Der Unterschied zur Realität: Auf der Affeninsel funktioniert die Bürokratie einwandfrei. Keine verschlampten Anträge, keine verzögerten Antworten, keine falsch berechneten Bescheide, keine Korruption, keine Schikane und keine tyrannischen Sachbearbeiter. The Secret of Monkey Island ist das Ideal funktionierender, digitaler Bürokratie. Die analoge Realität hingegen – da gebe ich der Game Designerin Jane McGonigal recht – ist ziemlich kaputt und ineffizient. Und das in einem Ausmaß, dass man es nur als großen Skandal bezeichnen kann. Doch diesen Skandal mit ein bisschen Gamification erträglicher machen zu wollen – wie in McGonigals Buch Reality is Broken vorgeschlagen – greift zu kurz.

Ich bin nicht so naiv, eine digitale Revolution des Meatspace zu fordern oder gar die Außerkraftsetzung physikalischer Grundgesetze. Mir geht es allein um gesellschaftliche und kulturelle Strukturen, die schon spielerischen Charakter haben. Für den Kulturhistoriker Johan Huizinga gehört das Spiel zu den entscheidenden Kulturfaktoren und der Mensch ist in erster Linie ein spielender Mensch, ein »Homo Ludens«. Der Kulturwissenschaftler McKenzie Wark radikalisiert diesen Gedanken, proklamiert den gesellschaftlichen Raum als allumfassenden »gamespace« und den Spieler als zentrale Figur einer neuen kritischen Theorie. Wir wissen, unter welchen Bedingungen uns Computerspiele Spaß machen und können unsere kulturelle Umwelt als Spiel verstehen – oft als schlechtes, unfaires oder ineffizientes. Warum also nicht das Computerspiel als ideales Regelsystem betrachten, die gesellschaftlichen Spielregeln umgestalten und dem Skandal der Realität auf den Leib rücken? […]

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