Dass sich an Projekten wie Anita Sarkeesians »Tropes vs Women in Video Games« eine große Subkultur aggressiv aufreibt, zeigt, dass ein Nerv getroffen wurde – auch wenn das besonders für die Vorreiter*innen des Diskurses sehr schmerzhaft sein kann. Eine „straight white male hardcore gamer“-Kultur rudert aggressiv mit den Armen, wird langfristig aber nichts dagegen unternehmen können, dass sich Computerspiele nicht von einer einzigen gesellschaftlichen Gruppe vereinnahmen lassen. Es gibt nur ein Problem: Die Kritik an sexistischen Stereotypisierungen in Computerspielen arbeitet sich nahezu vollständig an audiovisuellen und narrativen Oberflächen ab. Aber auch der Code von Computerspielen ist nicht neutral:
Als im Rahmen der letztjährigen E3 ein kleiner Skandal um die versuchte Vergewaltigung von Lara Croft und die Beschützerrolle des explizit männchlichen Spielers entbrannte, habe ich mich auf Facebook in eine ziemlich hitzige Debatte verwickelt, die Freund Stefan Mesch dankenswerterweise auf seinem Blog festgehalten hat. Der Vorwurf: Sexistische PR-Phrasen und „Rape As Backstory“ im aktuellen Tomb Raider-Reboot. Dabei habe ich mich anfänglich ordentlich in der Rolle des Advocatus Diaboli verrannt, um erst am Ende meinen Standpunkt klar benennen zu können:
Es wird […] Zeit, dass man die reine „Mechanik“ namens Lara Croft in den Blick nimmt und sich fragt, was für algorithmische Tropen es gibt, wie sich Gender und Sexismus auch in Form von Spielregeln und Spielstrukturen manifestieren. Dafür ist die Debatte bislang blind und das ist ein Problem. Wenn wir spielen, verinnerlichen wir spielmechanische Ideologie.
Denn – so könnte man als holprigen Vergleich anbringen – Sexismus und Misogynie nur in der Audiovisualität und der Narration eines Computerspiels zu erkennen, ist in etwa so, als würde man einem Roman allein auf Grundlage von Cover und Klappentext diskriminierende Tropen unterstellen wollen. Der eigentliche „Text“ – die Message des Mediums – wird ignoriert. Ebenso beim Computerspiel. (Das neue Tomb Raider ist mittlerweile erschienen und hat ganz andere Probleme – aber dazu ein anderes Mal mehr!)
Cursor
Eine beliebte Anekdote zu The Secret of Monkey Island behauptet, der Name des Hauptcharakters Guybrush Threepwood leite sich aus der Benennung einer Grafikdatei ab: „guybrush.bbm“. Daraus lernen wir einerseits, dass Game Designer ziemlich bequeme Menschen sind, und andererseits, dass Guybrush nur irgendein in Deluxe Paint („.bbm“) gepinselter („brush“) Typ („guy“) ist. Wäre der mächtige Pirat eine mächtige Piratin, die Datei hieße heute wohl einfach „galbrush.bbm“. Etwas Entscheidendes hätte sich damit allerdings nicht verändert. Die Datei wäre immer noch Teil einer audiovisuellen Datenbank; austauschbar, oberflächlich und stereotyp.
Spielcharaktere sind in erster Linie Cursor, die uns Zugriff auf die Spielwelt ermöglichen. Ihre Besonderheit liegt nicht in ihrem Äußeren, sondern in den Möglichkeiten der Einflussnahme, die sie uns erlauben. In einem Standardtext der Game Studies bringt es James Newman auf den Punkt:
Characters […] are embodied as sets of available capabilities and capacities. They are equipment to be utilised in the gameworld by the player. They are vehicles. […] Lara Croft is defined less by appearance than by the fact that ’she‘ allows the player to jump distance x, while the ravine in front of us is larger than that, so we better start thinking of a new way round…
Es ist also gewissermaßen vollkommen unerheblich, ob wir mit Lara Croft oder Nathan Drake durch Tempelruinen klettern und Bösewichte wegballern. Ähnliches gilt im Übrigen auch für NPCs oder die Sidekicks der Spieler*innen, wie der Puzzle-Shooter Portal mit dem Weighted Companion Cube mehr als deutlich unter Beweis gestellt hat. Egal ob Alyx oder ein lebloser (?) Würfel, am Ende dienen beide nur dem Aktivieren von Schaltungen. Charaktere im Computerspiel sind zunächst Funktion und erst dann audiovisuelle Repräsentation.
Stats
Die audiovisuelle Oberfläche lässt sich natürlich nicht vollkommen aus der Rechnung ausklammern. Aber sie ist eben nur ein Teilaspekt der Darstellung von Frauen im Computerspiel – zumindest wenn man die spezifische Ästhetik des Mediums ernst nehmen möchte. Wichtiger als die Frage, wie Frauen audiovisuell dargestellt werden, ist die Frage, an welche Konfigurationen von prozeduralen Mechaniken und Variablen die audiovisuellen Darstellungen von Frauen geknüpft werden.
Die Bedeutung dieser veränderten Perspektive zeigt sich beispielsweise im Beat ’em up-Genre: Charaktere mit schwacher Schadenswirkung, geringer Lebensenergie und hoher Geschwindigkeit sind in der Regel weiblich, während spielmechanisch starke, robuste und langsamere Charaktere eher als Männer dargestellt werden. Der offensichtliche Sexismus (Stichwort: „Brustphysik“) der Dead or Alive-Serie setzt sich so nahtlos im Gameplay fort: Christie ist schwach aber schnell, Bass ist stark aber träge und der spielmechanische Ausreißer Zack eben ein bunter Vogel. Dass der männliche Kämpfer Vega (bzw. Balrog in Japan) aus der Street Fighter-Serie oft für eine Frau (bzw. für metro-/transsexuell) gehalten wird, hat – so möchte ich behaupten – nicht allein mit seinem androgynem Äußeren zu tun, sondern eben auch mit seinem „weiblichen“ Kampf- bzw. Spielstil. Generell bin ich mir ziemlich sicher, dass in der Mehrzahl der Beat ’em ups der schwächste/schnellste Charakter eine Frau ist und der stärkste/langsamste ein Mann.
Im Rollenspiel-Genre lassen sich ganz ähnliche Stereotypisierung beobachten: In der Final Fantasy-Reihe zum Beispiel haben männliche Charaktere in der Regel mehr „Health Points“ (HP) als „Mana/Magic Points“ (MP) und sind von der Konfiguration ihrer Eigenschaftswerte auf Offensive angelegt. Bei weiblichen Charakteren verhält es sich umgekehrt. Gerade bei Final Fantasy ist die differenzierte Darstellung von Frauen positiv hervorzuheben, zu spezifischen Geschlechtszuschreibungen kommt es aber auch hier. Meist ist alles was einen Malus auf Variablen verteilt (z.B. Angriffsmagie) – wie etwa bei den Black Mages – eher männlich konnotiert und alles was einen Bonus auf Variablen gibt (z.B. Heilungsmagie) – wie etwa bei den White Mages – eher weiblich. Im Mount & Blade-Franchise werden die Gender-spezifischen Unterschiede – wenn auch aus Gründen des angestrebten gesellschaftlichen Realismus – besonders deutlich: Knappen haben von Anfang an deutlich höhere Werte für Stärke, dafür sind Hofdamen weitaus intelligenter. Bei den anderen Charakterklassen verhält es sich ähnlich:
For the other classes, the differences for attributes are that males have one point more for strength and charisma, while in females they have one point more in agility and intelligence.
Für diese Beispiele gibt es gute und korrekte Gegenbeispiele, aber ich bleibe dabei: In der Breite der Computerspiele schlagen sich Gender, Sexismus und Misogynie zunächst in der Verteilung von Mechaniken sowie Variablen und erst im Anschluss in der daran angeknüpften audiovisuellen Darstellung nieder. Exceptions may apply.
Ideologie
Wenn Geschlecht und Gender auf ein Set von Variablen und Mechaniken reduziert wird, ist das Ideologie. In der zweiten Ausgabe des WASD-Magazins habe ich dazu – im Kontext von Rassismus und Klassismus – ausführlicher geschrieben. Hier nur soviel: Das Gefährliche an einer prozeduralen, spielstrukturellen Ideologie ist, dass sie die meiste Zeit nahezu unsichtbar bleibt und sich erst im eigentlichen Akt des Spielens offenbart. Die (Spiel-)Weltanschauung der Game Designer*in ist unveränderlich in den Spielregeln codiert. In einem der besten Texte zu frühen Computerspielen hat das Charles Bernstein gut pointiert:
The real controller of the game is hidden from us, the inaccessible system core that goes under the name of Read Only Memory (ROM), that’s neither hardware that you can touch nor software that you can change but ‚firmware‘. Like ideology, ROM is out of sight only to control more efficiently.
Wer erleben möchte, wie sich rassistische Diskriminierung im Computerspiel anfühlt, sollte eine Partie Discrimination Pong probieren. Das Kunstprojekt zeigt sehr anschaulich, wie sich spielmechanische Behinderungen und die ungleiche Verteilung von Variablen auf das Spielgefühl auswirken können. Sexismus im Computerspiel funktioniert nicht anders. Die Gefahr ist nun aber, dass sich zwar die audiovisuellen und narrativen Oberflächen verändern, nicht aber die ideologisch aufgeladenen Prozesse und Mechaniken, die ihnen zugrunde liegen.
Das neue Tomb Raider zeigt diesen Trugschluß ganz beispielhaft: Lara Croft mag oberflächlich keine übersexualisierte Pop-Ikone mit Ballonbrüsten mehr sein, sie bleibt aber spielmechanisch ein stereotyper „Badass“ – vielleicht auch nur ein „Action Girl“, wenn man ein Auge zudrücken möchte. Die Autorin Rhianna Pratchett kann da noch so häufig betonen, dass sie Lara nicht zu einem „male character with boobs“ machen wollte (oder sie gar via Cutscene als homosexuellen Character imaginiert hat). Die spielstrukturell-idelogischen Eigenschaften des Third-Person-Shooters überschreiben Laras Persönlichkeit und Gender-Identität nahezu vollständig. Henry Jenkins versteht das Computerspiel als „gendered play space“ und insbesondere das Shooter-Genre erscheint dabei als Fortsetzung der „boy culture“ des 19. Jahrhunderts:
[T]he plots and characters are reduced to genre archetypes, immediately familiar to the boy gamers, and defined more through their capacity for actions than anything else. The ‚adventure island‘ is the archetypal space of both the boys books and the boys games — an isolated world far removed from domestic space or adult supervision, an untamed world for people who refuse to bow before the pressures of the civilizing process, a never-never-land you seek your fortune. The ‚adventure island‘, in short, is a world which fully embodies the ‚boy culture‘ and its ethos.
So ist möglicherweise auch zu erklären, warum die Weiblichkeit von Metroid-Protagonistin Samus Aran für viele Spieler*innen so eine große Überraschung darstellen musste: Die Shooter-Mechanik – ganz egal ob 2D oder 3D, first- oder third-person – ist von einer männlichen Spielkultur geprägt. Ein weiblicher Protagonist irritiert, zumindest bis zu der Feststellung, dass sich am eigentlichen Spiel und seinem Cursor nichts geändert hat. Noch deutlicher wird das, wenn spielmechanische Tropen aneinander gerieben werden, wie in einem aktuellen Twine-Adventure von Game Designerin Christine Love: Even Cowgirls Bleed ist eine ironische Miniatur der Shooter-Mechanik als Weltzugang und beißende Kritik an der „Action Girl“-Trope. Das Spielprinzip des Zielens und Schießens wird mit Adventure-Mechanik kurzgeschlossen und es entsteht eine produktive Verwirrung zwischen „boy culture“ und „girl culture“. Auch Cowgirls bluten und mit der Pistole lassen sich ebenso romantische, queere Abenteuer anbahnen. Erkenntnisse wie diese sind ein wichtiger Schritt, um Computerspiele genderbewusster zu gestalten.
Gaming Gender
Die erste Episode von Anita Sarkeesians Tropes vs Women in Video Games zur „Damsel in Distress“ macht leider nur an der audiovisuellen und narrativen Oberfläche auf sexistische Stereotype aufmerksam und versucht eine kulturgeschichtliche Einordnung. Damit macht sie sich nicht nur angreifbar für ebenso einseitige Gegenpositionen, sondern verpasst bislang auch die Chance, die prozeduralen und spielmechanischen Grundlagen der Trope zu erkennen und neutralere Alternativen aufzuzeigen.
Die kulturgeschichtliche Einordnung ist wichtig, aber was eigentlich notwändig wäre, ist die Schulung von gaming literacy. So wie man Texte lesen und schreiben lernen muss, um ihre Inhalte verstehen und bewerten zu können, braucht es zunächst eine Alphabetisierung mit Spielsystemen, bevor man Computerspiele verstehen und bewerten kann. Eric Zimmerman sieht die gaming literacy daher als bedeutende Kulturtechnik des 21. Jahrhunderts:
Gaming literacy is literacy – it is the ability to understand and create specific kinds of meanings. As I describe it here, gaming literacy is based on three concepts: systems, play, and design. All three are closely tied to game design, and each represents kinds of literacies that are currently not being addressed through traditional education. Each concept also points to a new paradigm for what it will mean to become literate in the coming century. Together they stand for a new set of cognitive, creative, and social skills – a cluster of practices that I call gaming literacy.
Einen praktischen Ansatz zeigt Anna Anthropy mit dem Flash-Game dys4ia, in dem sie die Erfahrungen ihrer Hormontherapie spielmechanisch sehr eindrücklich umsetzt. Erst wenn Game Designer*innen eine umfassende prozedurale Rhetorik – wie Ian Bogost die Kunst der computerisierten Repräsentation realweltlicher Prozesse nennt – für Geschlecht und Gender erarbeitet haben, wird es möglich sein, problematische Stereotypisierungen auf der Strukturebene einfacher zu entlarven und bessere Zugänge diskursfähig zu machen. Stereotype dürfen nicht länger nur billige Krücken für einfallsloses Game Design sein, sondern müssen vermehrt selbst zum Gegenstand von Computerspielen werden, um ein Umdenken zu ermöglichen.
Kosmetische Ansätze à la Lara Croft helfen da sicherlich nicht weiter. Ebensowenig die Ms. Pac-Man-Strategie. Und Game Designer wie Scott Rogers – der in seinem Buch Level Up! – The Guide to Great Video Game Design ziemlich indifferent zum Gebrauch von Stereotypen aufruft („Stereotypes are stereotypes for a reason: They’re easy for the viewer to understand. Don’t be afraid to use them.“) – tun dem Medium und seiner gesellschaftlichen Rolle ebensowenig einen Gefallen. Die Entwicklung eines „gender neutral play space“, wie Henry Jenkins ihn vorschlägt, klingt da schon vielversprechender:
We need to design digital play spaces which allow girls to do something more than stitch doll clothes, mother nature, or heal their friend’s sufferings or boys to do something more than battle it out with the barbarian hordes.
Es gäbe noch viel mehr zu schreiben. Über das Geschlecht von KIs (Stichwort: „ELIZA“ Oder: Sebastian Standkes schöner Text zu „GLaDOS‘ Wandel vom Programm zum technischen Bewusstsein“ im Sammelband Build ‚em Up – Shoot ‚em Down). Über Perspektive und Objektifizierung (Stichwort: „Origins of the FPS“). Über Interface-Technologie und Gender (Stichwort: „Dark Room Sex Game“). Etc. Aber ich bin ziemlicher Amateur auf dem Gebiet der Gender Studies und möglicherweise ist das Geschriebene bereits jetzt voll mit ihnhaltlichen Fehlern und Unschärfen. Gerade darum freue ich mich über Anmerkungen, Korrekturen und Ergänzungen im Kommentarbereich. Fällt Euch noch mehr ein? Seid Ihr anderer Meinung? Her damit!
4 Kommentare
Meine Beziehung zu Gender und Cultural Studies mag ähnlich oberflächlich sein, trotzdem mal ein Versuch des dezenten Widerspruchs. Vorsichtig genießen.
Grundsätzlich stimme ich der Ansicht, dass Ideologie und Bedeutung auch im mechanischen Unterbau von Spielen schlummern, zu. Nur die Behauptung, dass es deshalb wenig bringt an der Oberfläche zu werkeln, sehe ich kritisch, sind es doch erst diese Oberflächlichkeiten durch die die unterliegenden Mechaniken in Computerspielen als weiblich oder männlich kodiert wurden und werden, durch wiederholtes Predigen der etablierten Geschlechterteilung.
Mir scheint eben, dass erst die Verknüpfung von Mechanik und Äußerlichem geschlechtergeladen Bedeutung schafft. So gesehen hat man dann auch die Wahl, welche der beiden Komponenten man durchschütteln will um Stereotypen in Frage zu stellen, und so würde ich auch (aus der Distanz) das neue Tomb Raider bewerten. Es ist gewissermaßen Ansichtssache, ob Lara Croft durch ihre Rolle und Funktion vermännlicht wird, oder ob sie das Handwerk des Badass durch ihre Anwesenheit verweiblicht. Als Einzelfall wird sie natürlich wie Vega der dominanten Lesart untergeordnet, aber die funktioniert eben auch nur solange solche Ausnahmen noch Ausnahmen bleiben.
Im Wesentlichen ist es die selbe Streitfrage wie zwischen Difference Feminism und Equality Feminism: Soll man bisher vernachlässigte "weibliche" Domänen stärker betonen oder klassisch "männliche" Rollen erobern und besetzen? Ich finde beides klingt gut.
Du hast auf jeden Fall recht, vernachlässigen sollte man die Oberflächen nicht. Das will ich auch nicht, polemisiere da nur gerne, weil die subtil-abstrakte Mechanik hinter den Charakteren eh schon so schwer vermittelbar ist. Idealerweise sollte immer beides betrachtet und in Bezug gesetzt werden, aber insbesondere bei einer NUR oberflächlichen Betrachtung werde ich nervös. Denn dann redet man eigentlich nicht mehr von einem Computerspiel, sondern von Filmen, Bildern, Texten, etc. Aber da bin ich auch sehr Orthodox. Sicher kann und sollte man sexistische Stereotype, die aus vorhergehenden Medienkontexten in das Computerspiel herüberschwappen, aufmerksam beobachten, aber wirklich neue Erkenntnisse sollte man sich davon nicht erwarten. Was neu und spannend und wichtig ist, ist, dass jetzt im Computerspiel noch eine prozedurale Ebene hinzukommt, die Einfluss auf die audiovisuell-narrativen Tropen hat und ebenso selbst ideologische Züge trägt. Hier sollte mehr Aufmerksamkeit liegen! Und ich bin trotzdem sehr gespannt auf die nächsten Videos von Anita Sarkeesian, weil das was sie macht, macht sie sehr gut!
Ist die Spielmechanik wirklich immer überlagernd? Hängt das nicht auch stark mit der Rezeptionshaltung des Spielers zusammen? Klar, der kann sich nicht gegen den Code wehren. Aber er kann immer Aspekte des Spiels ablehnen oder ignorieren, indem er seine Aufmerksamkeit auf andere Dinge (wie eben die verschiedenen audiovisuellen oder textuellen Erzählebenen) richtet. Er kann sie auch nutzen um eigene Interpretationen der Konflikte von Mechanik und Erzählung zu entwickeln. Das häufigste Gegenargument ist dann immer: Nein, so darf man nicht argumentieren, das Individuum kann ja immer alles interpretatorisch aus dem Artefakt machen – aber geht es bei Computerspielen nicht genau darum? Dass der Spieler erst als Katalysator das Spiel ermöglicht und deswegen nicht weggedacht werden kann? Woher kommt dann also der Anspruch auf Interpretationshoheit – egal ob es um Mechanik oder Erzählung geht?
Ich überspitze da etwas, ja. Und natürlich gibt es immer Ausnahmen. Da würde sich dann eigentlich mein Heiß-/Kalt-Schema wieder anwenden lassen: Spiele, die ihre Mechanik stark reduzieren, lassen auch mehr Platz für klassische Interpretation. Bestes Beispiel ist hier wohl »Shadow of the Colossus«, dass stark von seiner Präsentation und der Reduktion von Mechanik lebt. Da muss man also tatsächlich differenzieren. In diesem Text war es aber erstmal nur mein Anliegen, in die Debatte reinzugrätschen und zu sagen: "Halt, da fehlt doch was!" Wir können über die "Damsel in Distress" & Co. reden, sollten dann aber auch überlegen, wie/ob die Tropen AUCH auf Ebene der Mechanik funktionieren. Das ist nur schwer/abstrakt zu vermitteln, gerade Non-Gamern, daher dann die starke Pointierung…