„Die Wasserstoffbombe ist das Ausrufezeichen der Geschichte“, hat Marshall McLuhan einmal geschrieben. Was er damit gemeint hat, wird in DEFCON deutlich. Der Krieg beginnt taktisch. Einheiten werden auf der Karte verteilt und verschoben. Bei Feindkontakt kommt es zu einem kurzen Scharmützel. Wer den besseren Spielzug gemacht hat, gewinnt den Konflikt. Es ist jene Art von Kriegsspiel, die Generäle seit Jahrhunderten praktizieren und auf reale Schlachtfelder umzusetzen versuchen. Doch mit nuklearen Waffensystemen hat das taktische Planspiel sein Ende gefunden. Alle anderen Spielzüge sind bedeutungslos geworden. Jeder kann gewinnen, jederzeit. Das Spiel ist aus. Ausrufezeichen. Wird die höchste Verteidigungsstufe, DefCon 1 ausgerufen, werden auf der ganzen Welt Atomsprengköpfe montiert. Raketentriebwerke laufen warm. Angst ist das vorherrschende Gefühl. Die Angst, den ultimativen Spielzug zu lange hinauszuzögern und dem Feind die Initiative zu überlassen. Die Angst mit dem ersten erfolgreichen Raketenstart die Position der eigenen Silos zu offenbaren und sich schutzlos dem Vergeltungsschlag auszuliefern. DEFCON spielt mit dieser Angst. Die Silos können nur eine Funktion zur selben Zeit ausführen. Entweder schicken sie eigene Raketen in den Himmel oder sie holen feindliche Raketen vom Himmel. Doch der point of no return ist schon überschritten, die Nerven eines anonymen Generals verloren gegangen. Mitten in Russland leuchtet „launch detected“ auf. Wenig später sind die Worte auf der ganzen Welt zu lesen. Es gibt keinen Grund mehr sich zurückzuhalten. Das Ende ist besiegelt. Raketenparabeln spannen sich wie Regenbögen von Kontinent zu Kontinent. Bald ist die Erde von weißen kreisen übersät. 1,2 Megatote in Berlin. 1,8 Megatote in Moskau. 2 Megatote in New York. Die Welt zerfleischt sich. Wer angefangen hat ist absolut gleichgültig. DEFCON ist ein Lernprogramm gegen militärische Hybris und die vermeintliche Sicherheit einer Simulation. Es entlarvt den Zynismus militärischer Abstraktion genauso, wie die absurde Idee, dass der atomare Holocaust auch außerhalb einer taktischen Karte zum Sieg führen kann. Mit nuklearen Waffen lässt sich kein Krieg mehr gewinnen, nur eine Welt zerstören. Als im September 1983 ein russisches Frühwarnsystem die Reflexion der Sonne als amerikanischen Raketenstart interpretiert, ist es fast zum Szenario von DEFCON gekommen. Nur das Misstrauen des wachhabenden Offiziers, Stanislaw Petrow, gegenüber dem Computer, hat eine Eskalation verhindert. DEFCON bringt uns genau das bei. Misstrauen gegenüber abstrahierten Situationen. Unglaube gegenüber dem vermeintlichen Spielzug zum Sieg. Am Ende kürt DEFCON einen Gewinner. Der Spieler mit den wenigsten Megatoten ist… und wie als Echo eines Atombunkers, klingt das leise Schluchzen einer Frau aus den Lautsprechern. Herzlichen Glückwunsch! „Strange Game. The only winning move is not to play“. Wie wäre es also besser mit einen netten Partie Schach?
DEFCON ist ein Strategiespiel über den thermonuklearen Krieg. Es gibt dabei nur einen Haken: „Everybody dies“! Wer sich noch an die Schlüsselszene aus WARGAMES erinnert, weiß was ihn erwartet. Weitere Hintergrundinformationen findest du hier.
(Ursprünglich erschienen auf subpool.de)
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[…] DEFCON (Introversion Software 2006)»The World’s first Genocide ‚em up: It’s Global Thermonuclear War, and nobody wins. But maybe – just maybe – you can lose the least.« (Bonustext) […]