WASD – Bookazine für Gameskultur #13

WASD #13: Missbrauch von Heeresgerät

War, huh, what is it good for? Computerspiele.

Ohne den 2. Weltkrieg wären Games nicht denkbar. Nein, nicht weil er so oft in ihnen vorkommt, sondern weil Kriegstechnologie in Friedenszeiten zur Unterhaltung benutzt wird. Das militärische Erbe von Computerspielen bestimmt sie bis heute. Ein Text aus dem WASD – Bookazine für Gameskultur Nr. 13.

1917. Wenn nicht gerade das Trommelfeuer tobt, herrscht in den Schützengräben Flanderns – anders als es Battlefield 1 nahelegt – gähnende Langeweile. Im Mai des selben Jahres dann plötzlich die Erlösung. Über ihre Heeresfunkgeräte empfangen die deutschen Truppen erstmals das Unterhaltungsprogramm des Hochfrequenztechnikers Hanz Bredow – aufgelegte Schallplatten und vorgelesene Zeitungsartikel. Zumindest bis Ranghöhere von dem „Funkerspuk“ erfahren und ihn schnell wieder beenden. Und um in Friedenszeiten noch größerer Zweckentfremdung von Kriegsequipment zuvorzukommen, beginnt die Planung des ersten staatlichen Unterhaltungsrundfunks.

Mit dieser Anekdote illustriert der Medientheoretiker Friedrich Kittler sein berühmtes Zitat: „Unterhaltungsindustrie ist in jedem Wortsinn Mißbrauch von Heeresgerät“. Der 1. Weltkrieg hat vereinzelte Funkübertragungen zur Massenunterhaltung geformt. Dem 2. Weltkrieg verdankt die Welt wenig später Fernseher, Raumfahrt und Computer. Auch die Pioniere des Computerspiels sind – in der altfranzösischen Bedeutung des Wortes – Fußsoldaten. Gab es gerade keine Kriege zu simulieren, Raketenflugbahnen zu berechnen oder kommunistisches Denken zu verstehen, missbrauchten sie ihre militärischen Rechenmaschinen zum Spielen. Die dabei errichteten Brückenköpfe stehen bis heute.

Pioniere

Der Tag der offenen Tür am Brookhaven National Laboratory im US-Bundesstaat New York schlägt ein wie eine Bombe. Am 18. Oktober 1958 möchte jeder Besucher Tennis for Two ausprobieren. Jene elektronische Spielerei, die der Physiker William Higinbotham aus einem Analogcomputer samt Oszillographen zusammengebaut hat. Zuvor war er mit weniger friedfertigen Projekten beschäftigt, etwa dem Zündmechanismus der ersten Atombombe. Zum Pazifisten bekehrt, flackern nun Ball- statt Raketenflugbahnen über den primitiven Bildschirm. Nicht der erste Spaß mit Kathodenstrahlen, aber für den Medienwissenschaftler Claus Pias diesmal eine Verwirklichung der „wesentlichen Züge von Actionspielen“.

Steve Russells prototypisches Shoot’em Up Spacewar! wird zehn Jahre später schon auf ziviler Hardware gespielt. Das Design des PDP-1-Computers basiert allerdings auf dem Vorgängermodell TX-0 der amerikanischen Luftwaffe. Der in Deutschland geborene und vor den Nazis in die USA geflohene Ralph Baer, stellt zur selben Zeit seine „Brown Box“, den Prototypen der ersten Spielkonsole Magnavox Odyssey, beim Militärdienstleister Sanders Associates fertig. 1976 sorgt William Crowther dann für die Geburtsstunde des Adventure-Genres. Das Colossal Cave Adventure ist maßgeblich durch seine Mitarbeit am ARPANET inspiriert, dem Internet-Urahnen des US-Verteidigungsministerium.

Das strategische Kriegsspiel hat hingegen, wie Pias anmerkt, geradezu auf „das Eintreten des Computers in eine historisch schon vorhandene Kopplung von Spiel und Ernst“ gewartet. Selbst der junge Matthew Broderick kann die WarGames-Version des computergestützten Luftabwehrsystems SAGE nicht von trivialer Unterhaltungssoftware unterscheiden. Allen Beispielen ist gemeinsam, dass militärisches Equipment samt dem dazugehörigen Know-How in Spielmaschinen umgesetzt wurde. Doch nur weil heute nicht mehr Preußen gegen Frankreich, sondern Super Mario gegen Rabbids kämpft, heißt das nicht, dass der ideologische Muff des Militärs aus den Games verschwunden wäre.

Military Entertainment Complex

Wenn Transformers den patriotischen Kriegsopfern salutieren, spricht man von Militainment. Der Einfluss des Militärs auf die Unterhaltungsindustrie zeigt sich eben nicht nur in lupenreinen Rekrutierungsmaßnahmen wie Top Gun oder revisionistischer Propaganda wie Black Hawk Down. Auch ein America’s Army ist nur der offensichtlichste Eisberg in einem Meer subtilerer Beeinflussung. Aber wo sich das US-Militär den Einblick in die Drehbücher Hollywoods mit Black-Hawk-Helikoptern erkauft, muss sie in der Games-Branche lediglich abwarten. In Ermangelung an subversiver Kreativität im Umgang mit der ehemals militärischen Hardware, produziert sie fast von alleine Militainment.

„The military entertainment complex emerges out of the control of the analog by the digital“, schreibt die Kulturwissenschaftlerin McKenzie Wark. Das japanische Gekugele Katamari Damacy dient ihr dafür als unwahrscheinlicher Kronzeuge. Vom König des Kosmos dazu verdonnert, rollen die Spielenden die quirlige, analoge Welt der Unterschiede auf, um sie zu einer gleichförmigen, digitalen Größenvariable zu formen. Schon im Sequel We Love Katamari stellt der Künstler Keita Takahashi seinen Unmut über diesen Akt der Homogenisierung offen aus und gelobt wenig später, nur noch Spielplätze zu bauen. Ohne ihn ist das Katamari-Franchise unlängst zu einer F2P-Kaserne geworden.

Computerspiele verteilen Orden und definieren Hierarchien mit einer Selbstverständlichkeit, die nachdenklich machen sollte. Aber selbst ein angebliches Antikriegsspiel wie This War of Mine entfernt sich kaum von den Planspielen und logistischen Kontrollfantasien des Militärs. Erfolg ist eine spieltheoretische Maximinlösung weit entfernt und selbst Depression ist letztlich ein Problem der Verwaltung von Ressourcen. „[T]he extension of the digital to all aspects of everyday life“, wie Wark weiter schreibt. Die audiovisuellen Oberflächen suggerieren analoge Kriegswillkür, aber dutzende Guides legen in digitaler Eindeutigkeit offen, wie der zivile Trupp am effektivsten zu befehligen ist.

Theorycrafting

Während des 2. Weltkriegs wurden in ausführlichen Versuchsreihen uniformierte Ziegen in die Luft gesprengt, um die Überlebenschancen von Soldaten zu einer planbaren Variable zu machen. Diese fortan als „Operations Research“ bezeichnete Praxis findet ihre Fortsetzung im Gaming als „Theorycrafting“. Keine namhafte Corporation in EVE Online ohne eine entsprechende Forschungsabteilung. Hier explodieren nur virtuelle Raumschiffe, aber die erhoffte Erkenntnis ist die Selbe.  Planbarer Konflikt. Computer wurden zur logistischen Optimierung von Kriegshandlungen entwickelt und selbst im Missbrauch als Spielgerät spuken in ihnen noch die Geisterziegen der Vergangenheit.

Das experimentelle Craften von Theorien ist keine Einbahnstraße. Wenn der Sieg über den Gegner zur zentralen Prämisse wird und nur über die Offenlegung sowie totale Anpassung an das Spielsystem erreicht werden kann, werden ganze Communities ebenso durch ihre Theorien gecraftet. Der Rhetorikforscher Christopher A. Paul beobachtet dieses Phänomen innerhalb weiter Teile der Spielkultur: „The moment total understanding is derived, […] there is only one decision for good, properly socialized, players to make.“ Das Meta-Game wird zur Grundlage eines meritokratischen Games, das über den Dienstgrad und die Aufstiegschancen in paramilitärischen Gilden-Hierarchien bestimmt.

Es ist also wenig verwunderlich, dass die Kulturkämpfe, die aus Gaming-Communities heraus geführt werden, vom Korpsgeist beseelt sind. Die #GamerGate-Propaganda beschwört den Guerillakrieg gegen die spielverderbenden Anderen. Das rechtsextreme, militärisch organisierte Projekt „Reconquista Germanica“ wirft Meme und Hashtags auf „Tagesbefehl“ über Schlafschafe in sozialen Netzwerken ab. Nicht ernst gemeint, aber mit erwünschter Meinungsmacht im Ernstfall. Der Spielbegriff führe, so Claus Pias, „den Ernstfall als extrasymbolischen Horizont immer mit sich und kann im Information Warfare mit ihm zusammenfallen.“ Spiele als Probehandeln für (kalten) Krieg, damals wie heute.

Missbrauch von Spielgerät

Wenn das Militär zunehmend auf Spieltechnologie zurückgreift und Staaten ihre Infokrieger direkt aus der Spielkultur rekrutieren, schließt sich ein Kreis. Einst Produkt des Missbrauchs von Heeresgerät, werden Computerspiele nun in das Arsenal reintegriert. Bereits bei Battlezone und Doom 2 waren minimale Anpassungen notwendig, um aus Unterhaltung wieder die Ausbildungswerkzeuge Bradley Trainer und Marine Doom zu machen. Heute leisten Game-Engines bessere Arbeit bei der Vor- und Nachbereitung von Konflikten, als es die Eigenentwicklungen des Militärs könnten. Mehr als belächelten Protest gegen Crytek auf der Gala zum Deutschen Computerspielpreis provoziert das bislang jedoch nicht.

Games können sich auf die Hyperrealität ihrer Präsentation und Spielhandlung verlassen, so wie Transformers auf die Absurdität salutierender Roboter. Die Schießbude Crysis lässt die CryEngine harmlos erscheinen. Wie der Philosoph Slavoj Žižek anmerkt, konstruieren Ego-Shooter „ebendiese Phantasie eines direkten Kontakts mit einem Feind, den wir mit eigenen Händen töten, um der Realität eines entpersönlichten, in einen anonymen technologischen Apparat verwandelten Krieges zu entkommen.“ Sogar ein selbstreflexives Spiel wie Spec Ops: The Line durchbricht die Fantasie nur bedingt. Erst die Umwidmung zur nüchternen Simulation offenbart das zynische Menschenbild einer Spielsoftware.

In der Dokumentationsreihe „Ernste Spiele“, stellte Harun Farocki militärischen Trainings-Simulationen nahezu inhaltsgleiche zur Trauma-Therapie von Veteranen gegenüber. Durch das schmalere Budget, werfen die Figuren in Letzterer keine Schatten mehr. Das asymmetrische Multiplayer-Game Kill Box des Künstlers Joseph DeLappe abstrahiert Menschen schließlich zu Kugeln und bietet weder dem Drohnenpiloten die „Phantasie eines direkten Kontakts“ noch den Zivilisten eine erprobte Ideallinie durch den Bombenhagel. Ernst gemeinte Antikriegsspiele bleiben militärisch Unbrauchbar. In ihrem Fall lässt sich das Wort „Pionier“ auch ganz anders aus dem Altfranzösischen übersetzen: Fußgänger.

Christian Huberts wurde T2 gemustert, hat sich aber mit einem lahmen Essay über Full Metal Jacket in den Zivildienst geschwätzt. Heute leistet er Dienst am Joypad. Rapport auf www.schauanblog.de.