Es folgt das Manuskript zu einem Vortrag, den ich am 4. März 2011 auf der Tagung »Sortieren, Sammeln, Suchen, Spielen: Die Datenbank als mediale Praxis« in Braunschweig gehalten habe. Den Spaß gibt es auch als Audio-Mitschnitt:
Man verzeihe mir die – am Anfang – deutlich hörbare Nervosität. Es wird mit der Zeit besser. Der Vortrag erscheint demnächst in stark überarbeiteter Form und kombiniert mit einem Vortrag von Robin Krause [„Datenbanken als Spielräume“] im offiziellen Tagungsband. Mehr Informationen folgen in Kürze. UPDATE: Es gibt jetzt auch eine englische Version vom Manuskript und der Sammelband zur Tagung erscheint voraussichtlich am 5. September 2012 im Lit Verlag. Kaufen! Wird ein feines Ding…
Die Datenbank-Ästhetik von Computerspielräumen
Vortragsmanuskript
[00] Der Anfang
[01] Der Wald von ZORK
„To the north a narrow path winds through the trees“. (Zork 1980)
Wenn wir in dem klassischen Text-Adventure ZORK nördlich des weißen Hauses den Wald betreten, stehen wir auf einem Pfad der von Süden aus weiter nach Norden verläuft. Wir können ihn in Richtung Westen und Osten verlassen, aber das Spiel wird uns nur sagen, dass wir uns jetzt in einem Wald befinden: „This is a forest, with trees in all directions“. (Zork 1980) Versuchen wir weiterzugehen, stoßen wir auf dichtes Unterholz und müssen umkehren. Früher oder später stehen wir also wieder auf jenem Pfad der von Süden nach Norden durch den Wald führt. Folgen wir ihm schließlich, stoßen wir auf einen besonders großen Baum mit niedrig hängenden Ästen – den „particularly large tree“. Und dieser Baum – das ist die Pointe! – ist der einzige Baum des ganzen Spiels. Denn – so wie es Claus Pias passend ausdrückt: „Nicht alle Wörter in den Texten adressieren Objekte, aber spielbar ist nur, was eine Adresse hat.“ (Pias 2007, 405)
Der restliche Wald in ZORK gehört – in Claus Pias‘ Worten – zur „Welt der Zwischentexte“ und ist reine „Literatur“ (Pias 2007, 405). Er reduziert sich auf ein zusammenfassendes Objekt – genannt „forest“ oder „trees“ – und ist nur rudimentär abzufragen. Der Wald ist also ein Text, der nicht oder nur sehr eingeschränkt, andere Objekte in der Datenbank adressiert und damit genau so gut in einem Buch aufgehoben wäre. Zwar ist er ebenfalls ein Teil der Datenbank, aber kein Teil der Mechanik des Spiels. Auf den Befehl „examine“ folgt ein schlichtes: „There‘s nothing special about the forest.“ (Zork 1980) Im Gegensatz zu seinen rein literarischen Kollegen, können wir den „particularly large tree“ am Wegesrand nicht nur untersuchen, sondern ihn ebenfalls erklimmen. In seiner Krone, die ebenfalls ein Objekt der Datenbank darstellt, finden wir ein spielrelevantes Item – ein Kristall-besetztes Ei. Kurz: Der „particularly large tree“ ist vom Spieler mit verschiedenen Parser-Befehlen wie „examine“, „kick“ und „climb“ individuell aufrufbar. Und er adressiert weitere spezifische Objekte und ist damit ein aktives Element der Datenbank, der Spielmechanik und des Raums von ZORK.
[02] Der Raum von ZORK
Befreit man den Wald von ZORK von allen Redundanzen, den spielmechanisch inaktiven Elementen der Datenbank, bleibt nur noch der Pfad, der besonders große Baum und eine Waldlichtung übrig. Auf einer Karte der Welt von ZORK gestaltet sich das ganze – so wie Claus Pias ganz richtig feststellt (vgl. Pias 2007, 410) – als Graph. Ein Netzwerk aus Texten, die durch direkte Links oder – um die wirksamere Metapher des Spiels zu benutzen – Pfade verbunden sind. Die Datenbank ist nur entlang dieser linearen Pfade abzufragen. Was außerhalb liegt bleibt redundant, inaktiv, tot. Wie Nummern in einem Telefonbuch, die keinen gültigen Anschluss adressieren.
Kaum verwunderlich also, dass ZORK – „The Great Underground Empire“ – zu großen Teilen unter der Erde, in den engen Tunneln eines Dungeon spielt. Das Höhlenverlies als ein Raum, der mitsamt seiner besonderen Eigenschaften – eng, dunkel, labyrinthisch –, bestens im kulturellen Gedächtnis der Spieler verankert ist. So beseitigt die Wahl der Raum-Metapher von vornherein jede Redundanz, weil außerhalb der Gänge durch solides Gestein kein Spieler mehr sein kann und damit keine Datenbank mehr sein muss: „There is a wall there.“ (Zork 1980) Der Raum des Waldes kann hingegen weder als Element der Datenbank noch als Interface für die Datenbank von ZORK überzeugen. Zu wenige Algorithmen verleihen der rein textuellen Beschreibung spielerische Tiefe. Zu stark bürstet die lineare Raumlogik von ZORK die inhärente Kontingenz des Waldes gegen den Strich. Hinkende Metaphern – das dichte Unterholz – werden bemüht, um den Bewegungsradius des Spielers und damit auch die Größe der Datenbank künstlich einzuschränken. Und die absolute Homogenität der Waldinstanzen ermöglicht es nur kurzzeitig, die Orientierung zu verlieren. ZORK irritiert damit das kulturelle Gedächtnis des Spielers und all jener Einträge darin, die mit den räumlichen Eigenschaften des Waldes – groß, unübersichtlich, unwegsam – zu tun haben. Es bleibt bei der literarischen Suggestion eines Waldes, die für die Raumlogik konsequenzlos und für die Spielmechanik irrelevant bleibt. Bedenkt man, was das Fantasy-Genre, Märchen und Mythen noch alles über den Wald zu erzählen hätten, ist ZORK mit dem Anzapfen der kulturellen Erinnerung des Spielers nicht sonderlich kreativ. Keine Brotkrümel, die uns den Weg weisen. Keine Irrlichter, die uns tiefer in den Wald locken. Und kein großer, böser Wolf, der uns auflauert. Erst in der Dunkelheit des Dungeon wartet der „grue“ und frisst uns, wenn wir die Laterne vergessen haben. Der Wald in ZORK ist hingegen gradliniger und langweiliger als jeder niedersächsische Monokultur-Forst. Wir erinnern uns: „There‘s nothing special about the forest.“ (Zork 1980) Es bleibt bei einem Stück nüchterner Prosa, der redundanten Beschreibung eines Raums „Wald“ in der Datenbank. Was die Existenz des Waldes in der Datenbank verspricht beißt sich mit der Realität des Spiels und es bedarf der Interface-Metapher des Pfades – der gradlinig durch den Wald führt – um diese Irritation zu korrigieren. Das ist die Datenbank-Ästhetik des (Text-)Adventures: Daten als Randbewuchs eines informatischen Trampelpfads, genannt Computerspiel.
[03] Zwischenfazit
Wir können erste Beobachtungen zusammenfassen:
- Die Datenbank des Text-Adventures ZORK muss ausdifferenziert werden: In einen Teil, der aktiv und untrennbar mit der Spielmechanik verbunden ist, und einen anderen Teil, der über das Spiel nur rezipierbar, nicht aber spielbar gemacht wird und damit ludisch redundant ist.
- Die Grenze zwischen dem aktiven und dem inaktiven Teil der Datenbank wird durch die Raumlogik des Text-Adventures definiert. Im Fall von ZORK ist nur aktiver Teil der Datenbank, was als Kern entlang der Kanten des Graphen liegt. Alles andere ist reine Literatur, inaktiv und gehört nicht zur Mechanik des Spiels.
- Aber nicht nur stellt der Raum ein Interface zur Datenbank dar, sondern ebenso dient die Datenbank als Interface zum Raum. So nutzt ZORK – als Metapher für die Kanten des Graphen – die Beschreibung eines Pfades als Text in seiner Datenbank.
- Doch sowohl Raum wie Datenbank können im Text-Adventure als Interface scheitern. In ZORK kann der Graph weder den Wald konsistent gestalten, noch der Wald über die lineare Logik des Graphen hinwegtäuschen. Erst die Interface-Metapher des Pfads löst die Irritation des Spielers.
- Und diese Irritation kommt dadurch zu Stande – so möchte ich behaupten –, dass wir an den Inhalt der Datenbank eigene Erfahrungen und kulturelle Erinnerungen anknüpfen, die von der Spielmechanik nicht eingelöst werden können.
[04] Der Wald von FABLE
Fast 30 Jahre später ist der Wald der Datenbank diversiver und dichter geworden. Nicht mehr nur Texte, sondern Filme, Grafiken, Sounds, Musik, Polygone und Animationen bewuchern stetig wachsende Datenträger. Wald muss nicht mehr literarisch beschrieben, sondern kann multimedial repräsentiert werden. Dem Action-Rollenspiel FABLE (2004) steht dafür das ganze Potential des „navigable space“ (Manovich 2001, 269) – wie Lev Manovich den euklidischen Koordinatenraum moderner Computerspiele bezeichnet – zur Verfügung: eine eigenständige kulturelle Form, ein kulturelles Interface auf von Kultur durchsetzte Datenbanken (vgl. Manovich 2001, 215). Und tatsächlich präsentiert sich uns der Wald von FABLE in all seiner audiovisuellen, dreidimensionalen Pracht. Nicht mehr nur ein knappes „this is a forest“ (Zork 1980), sondern dutzende anschaulich modellierte und texturierte Bäume liegen vor uns verteilt. Hinzu kommt sporadischer Bodenbewuchs, feuchter Nebel zwischen den hohen Tannen und eine atmosphärische Geräuschkulisse, die klar machen: Dieser Raum ist ein Wald. Doch beim näheren Blick fallen weitere Details auf: Eine leere und breite Grünfläche die sich durch den Wald zieht. Lattenzäune, ruinöses Gemäuer und große Findlinge zu beiden Seiten der langgezogenen Lichtung. Ein Blick auf die schematische Karte am rechten oberen Bildrand bestätigt schließlich, was die polygonale Geometrie bereits andeutet. Mitnichten bewegen wir uns durch ein offenes Waldgebiet, sondern durch ein System von Schläuchen, das lediglich von Wald umgeben ist. Auf die Frage, ob wir den Schlauch verlassen können, ließe sich mit ZORK polemisch antworten: „There is a wall there.“ (Zork 1980)
[05] Der Raum von FABLE
Die Parallelen zu ZORK sind kaum zu übersehen. Betrachten wir die Karte der Welt Albion genauer, zeigt sich – wie schon beim Text-Adventure – ein System von linearen Pfaden. Die großen Wälder der Landkarte sind nur eine Illusion. Der Wald von FABLE und seine Bäume sind redundante Datenornamente eines navigierbaren Tunnelraums.
Wenig hat sich also seit ZORK getan. Immer noch bewegen wir uns von Kern zu Kern auf den – etwas breiter gewordenen – Kanten eines Graphen. Die Datenbank ist jetzt umfangreicher, aber auch in FABLE können wir sie nur entlang linearer Pfade aktivieren. Wo sich das Adventure-Genre noch stets mit dem Imperativ „Das funktioniert so nicht!“ aus der Affäre ziehen konnte, kommt das moderne 3D-Action-Adventure ins Schleudern. Alles, was nicht durch die Spielmechanik in irgendeiner Weise adressiert ist, muss notdürftig hinter Mauern, Zäunen und Steinen vor den Manipulationsversuchen des Spielers geschützt werden.
Der „navigable space“ (Manovich 2001, 269) von FABLE bildet also zu einem Großteil der Daten keine Schnittstelle, sondern begegnet uns als Trennschicht zwischen Spiel und Datenbank. Wie ein Hybrid aus Gallerie und Geisterbahn, erlaubt uns FABLE nur Nähe und Zugriff zu den Daten, die bewusst entlang der Schiene platziert liegen. Da unser muskelbepackter Held nicht in der Lage ist, über einen einfachen Lattenzaun zu springen, können wir den Wald also diesmal nur durch unsichtbare Wände hindurch betrachten.
[06] Das Märchen von FABLE (Das Märchen vom Raum)
Doch wo uns ZORK erklären konnte, dass an seinem Wald sowieso nichts besonders ist, weckt der Forst in FABLE Begehrlichkeiten. Denn diesmal ist der Wald tatsächlich von Interesse für den Spieler. FABLE ist – mit Mathias Mertens gesprochen – ein „Speicherraum-Spiel“, das wir „spielen, um zusehen zu können“. Es ist bis zum Rand gefüllt mit Klischees und Anspielungen auf Fabel [sic!] und Volksmärchen, eine „Datenbank der kulturellen Sozialisation.“ (Mertens 2007, 53) So wie wir in einer schicken Karre durch die urbane Kultur von Liberty City in GTA IV (2008) cruisen können, lädt uns die Datenbank von FABLE dazu ein, auf den Spuren von Helden, Hänsel, Gretel und Rotkäppchen zu wandern. Und wir würden gerne dieser Versuchung nachgeben, den sicheren Pfad zur Großmutter verlassen, uns im dunklen Wald verlaufen und schließlich dem großen bösen Wolf begegnen. Nur: FABLE und sein surrealer Schlauch-Raum lassen uns nicht. Das Spiel weckt mit seiner Datenbank Erwartungen und Bedürfnisse, die sein Raum nicht erfüllen kann bzw. will. Der große, böse Wolf, er begegnet uns schließlich im Dutzend, aber nicht im dichten Wald, sondern mitten auf dem Pfad.
FABLE nimmt seine Datenbank nicht ernst. Das Spiel nutzt den reichen Fundus stereotyper Mythologie allein, um seine Spielmechanik mit einer gemütlichen, weil wohl bekannten Kleidung zu überziehen. Der Wolf ist böse, darum ist er ein Gegner und muss vernichtet werden. Das Klischee bietet eindeutige Orientierung für den Spieler. Der lange Pfad durch den Wald hat lediglich den Zweck, Zeit zu schinden und die funktionalen Kerne des Spiels ausreichend voneinander zu distanzieren. Einmal durchschritten, ist er redundant geworden und kann fortan durch Teleportation übersprungen werden. Kaum ein Weg in FABLE muss also mehr als einmal gewandert, kein Teil der Datenbank mehr als einmal aufgerufen werden. Hier öffnet uns FABLE nicht den Raum des Märchens, sondern erzählt uns ein Märchen vom Raum.
[07] Zwischenfazit
Fassen wir noch einmal zusammen:
- Seit ZORK ist die Datenbank umfangreicher geworden und der Pfad zwischen den aktiven Teilen der Datenbank etwas breiter. Die grundlegende Raumlogik von ZORK – der Graph – und der Umgang mit der Datenbank sind allerdings unverändert geblieben.
- Doch ein neues Phänomen kommt bei FABLE hinzu: Der Umfang und der Detailgrad der Datenbankelemente weckt die Aufmerksamkeit des Spielers, die sich im Text-Adventure noch durch einfaches Auslassen verhindern ließ. Aber der Wald in FABLE fordert durch seine gut sichtbare Präsenz zum Erkunden auf. In Anbetracht seiner räumlichen Grenzen und der fehlenden spielmechanischen Relevanz hinter dem Wald, muss das Spiel den Spieler – durch visuelle Metaphern – von seiner Datenbank fern halten.
- Ich behaupte: Datenbanken in Computerspielen wollen erkundet werden! Unsichtbare Wände gelten sowohl in der Fachpresse, wie in der Spielerschaft als schlechtes Game-Design. Was die Datenbank sichtbar macht muss berührbar sein oder hinter den dicken Mauern eines Verlieses, einer Raum- oder Unterwasserstation konsistent vor dem Spieler geschützt werden.
[08] Der Raum von THE PATH
Kehren wir – diesmal ganz wörtlich – auf den Pfad zurück. Auch in THE PATH (2009) führt ein breiter Weg mitten durch den Wald. Die Aufgabenstellung ist klar: „Go to Grandmother’s house and stay on the path“ (The Path 2009). Folgen wir dieser Anweisung sind wir innerhalb weniger Minuten beim Haus der Großmutter angekommen und das Spiel ist verloren. „You failed!“. (The Path 2009)
THE PATH macht sich sehr gekonnt über Spiele wie FABLE, ihre engen Tunnelräume und die streng abgetrennte Datenbank lustig. Wo in FABLE das Spiel endet, wenn wir uns der Versuchung des Waldes beugen, scheitern wir in THE PATH wenn wir der Kante des Graphen – dem Pfad – bis zum Kern – Großmutters Haus – folgen. Das Spiel widersetzt sich einer Raumlogik, die einzig aus Kernen und Kanten bzw. einem Netzwerk aus navigierbaren Schläuchen besteht. Wollen wir in THE PATH Erfolg bzw. Spaß haben, sollten wir die einzige Regel des Spiels missachten und den Pfad verlassen. Wie Rotkäppchen müssen wir ignorieren, was uns immer wieder von anderen Spielen eingeschliffen wurde: dass das Spiel mit den Rändern des Pfades endet und wir keinen Zugriff zum Rest der Datenbank haben dürfen. Statt durch das Märchen eines Raums bewegen wir uns nun tatsächlich durch das Märchen als Raum bzw. als Datenbank.
[09] Das Märchen von THE PATH (Das Märchen als Raum)
Und THE PATH nimmt seine Datenbank ernst: Nichts ist in der Datenbank was wir nicht aus räumlicher Nähe betrachten könnten. Die Datenbank-Ästhetik des Adventures hat sich umgekehrt: Der Pfad ist nun ein spielmechanisch redundanter Leerraum und sein ehemaliger Randbewuchs ein prächtiger Datenwald. Ziel von THE PATH ist es nicht den schnellsten Pfad durch das Spiel zu finden, sondern in aller Ruhe die Datenbank zu durchwandern und seine – so wie Henry Jenkins es nennt – „spatial story“ (Jenkins 2006, 678) zu entdecken. Mehr noch aber haben wir es mit einem „memory palace“ (Jenkins 2006, 685) zu tun, einem frei navigierbarem Datenbankraum der kulturellen Erinnerung an Märchenerzählungen – insbesondere an Rotkäppchen. Und plötzlich macht der Wald als Element der Datenbank und als Interface-Metapher für den Raum Sinn. Es ist der Wald, wie wir ihn aus Märchen kennen: Geheimnisvoll, dunkel, unübersichtlich und groß. In THE PATH ist er genau genommen sogar unendlich groß. Die Enden des Waldes sind kurzgeschlossen, der Raum gleicht weniger einer endlichen Fläche, sondern mehr einem Donut. Und es dauert daher nicht lange, bis wir uns in der Datenbank verlaufen und den Pfad nicht mehr wiederfinden.
Der Wald von THE PATH sieht also nicht nur so aus wie ein Märchenwald, er funktioniert auch entsprechend. Wir stoßen nicht auf interessante Orte, weil uns ein Pfad direkt darauf zu lenkt, sondern durch Zufall. Und früher oder später laufen wir ebenso dem bösen Wolf über den Weg. Aber diesmal nicht als einer von vielen Gegnern auf einem linearen Schlachtfeld, sondern als archetypische Figur, die uns verführen will und nur darauf gewartet hat, dass wir den rechten Pfad verlassen. Das ist die Datenbank-Ästhetik von THE PATH: ein offener, verführerischer Datenwald, der von der redundanten Kante eines Graphen durchzogen wird.
[10] Fazit
Wir können abschließend zusammenfassen:
- Die Datenbank-Ästhetik des Adventure-Genres ist selbst unter modernen Computerspielen verbreitet. Aber sie ist nicht die einzig mögliche Ästhetik. Open-World Spiele und insbesondere ludische Experimente wie THE PATH bieten das Potential, die Datenbank nicht nur als Randausschmückung zu nutzen, sondern zu einem zentralen Element des Spiels zu machen.
- Zudem kann das kulturelle Gedächtnis, das an die Objekte der Datenbank geknüpft wird, produktiv für die Spielmechanik und die Raumlogik genutzt werden. Eine stark strukturierte Raumlogik wie der Graph, kann plausibel als Dungeon durch die Datenbank gespiegelt werden, genauso wie eine offene, kontingente Geometrie durch einen Wald.
- Es lohnt sich also, die Datenbanken von Computerspielen nicht nur als audiovisuelle Oberflächen zu sehen. Im praktischen Vollzug des Spiels offenbaren sie sich nicht selten als komplexe kulturelle Interface-Metaphern für spezifische Spielmechaniken und Raumlogiken. Ebenso ästhetisieren Computerspiele ihre Datenbanken. Es ist hoffentlich deutlich geworden: There is something special about the forest!
[11] Ausblick („Raumtemperatur“/„Topografie von Spielräumen“)
Noch ein Paar weiterführende Informationen: Das Forschungsprojekt „Topografie von Spielräumen – Untersuchungen zur kulturellen Verortung von Computerspielen“ [abgebrochen], an dem ich zusammen mit Robin Krause – den sie gestern schon mit einem Vortrag („Datenbanken als Spielräume“) gehört haben – und Mathias Mertens arbeite, will in Zukunft die Zusammenhänge von Kultur, Datenbank und Raum in verschiedenen „Spielfeldern“ weiter erforschen. Interessierte finden außerdem in meiner ersten Publikation „Raumtemperatur – Marshall McLuhans Kategorien »heiß« und »kalt« im Computerspiel“ (Huberts 2010) weitere Anmerkungen zur Ästhetik der Datenbanken und Räume ausgewählter Computerspiele. Ich bedanke mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit und freue mich auf Ihre Fragen!
Bibliografie
- Huberts, Christian (2010) Raumtemperatur. Marshall McLuhans Kategorien »heiß« und »kalt« im Computerspiel. Göttingen: Blumenkamp.
- Jenkins, Henry (2006) Game Design as Narrative Architecture. In: Salen, Katie/Zimmerman, Eric (Hrsg.) The Game Design Reader: A Rules of Play Anthology. Cambridge: MIT Press. S. 670-689.
- Manovich, Lev (2001) The Language of New Media. Cambridge, MA; London: The MIT Press.
- Mertens, Mathias (2007) »A Mind Forever Voyaging«. Durch Computerspielräume von den Siebzigern bis heute. In: Holtorf, Christian; Pias, Claus (Hrsg.) Escape! Computerspiele als Kulturtechnik. Köln; Weimar; Wien: Böhlau Verlag; S. 45–54.
- Pias, Claus (2007) Adventures Erzählen Graphen. In: Bruns, Karin; Reichert, Ramón (Hrsg.) Reader Neue Medien. Texte zur digitalen Kultur und Kommunikation. Bielefeld: transcript Verlag; S. 398–419.
Ludografie
- Anderson, Tim et al. (1980) Zork 1. The Great Underground Empire. Infocom. System: Commodore 64.
- Harvey, Auriea; Samyn, Michaël (2009) The Path. Tale of Tales. System: PC.
- Lashley, Simon; McLeman, Keith (2008) Grand Theft Auto IV (GTA IV). Rockstar North; Rockstar Games. System: Sony Playstation 3, Microsoft Xbox360, PC.
- Molyneux, Peter (2004) Fable. The Lost Chapters. Lionhead Studios; Microsoft Studios. System: PC, Mac OS X.
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